Ein Schlußwort (?) zu diesem Thread

Kosmogonie @, Samstag, 09. Juli 2016, 23:12 (vor 3073 Tagen) @ Rembert
bearbeitet von Kosmogonie, Samstag, 09. Juli 2016, 23:22

Man lernt doch die Philosophen kennen durch Steiner, aber so das man merkt: diese Charakteristik ist wie ein (steinerschen) Wiedergeburt des Philosophen, eine intellektuelle Wiederbelebung konnte man sagen.

Also, Husserl lernt man ganz gewiß nicht kennen durch Steiner!

Spinoza auch nicht, denn diesen zitiert Steiner dermaßen zusammenhanglos, daß er ihm das Gegenteil dessen unterlegt, was Spinoza - inbezug auf die Freiheit - wirklich dachte.

Und dann erst Kant! Stünde nicht

Die Philosophie der Gegenwart leidet an einem ungesun­den Kant-Glauben

als einleitender Satz in der Vorrede zu "Wahrheit und Wissenschaft", so könnte man Steiner zugute halten, daß er wenigstens in seinen für die Öffentlichkeit bestimmten Werken mit diesem Philosophen höflich umgegangen sei. Aber der obige Satz verbietet uns, dem Steiner irgendwelche Rücksichtnahme zu konzedieren. Die Geistgestalt eines Menschen mit Gesundheit und Krankheit in Verbindung zu bringen, das ist schon ziemlich unverschämt und pietätlos.

Nun könnte man dem Steiner diese offenkundige Menschen-Verachtung vielleicht noch nachsehen, wenn er als gereifter Mann wenigstens sein Urteil abgemildert hätte. Aber nein, gerade gegen Ende seines Lebens setzt Steiner noch eins drauf, nämlich in seinem Vortrag vom 20. Mai 1924, gehalten vor Arbeitern.

Zitat (Hervorhebungen durch mich):

Herr Burle: Am 22. April war der Geburtstag von Kant. Wenn ich Herrn Doktor bitten dürfte, daß er uns etwas über die Lehre von Kant erzählen würde, was die Gegensätze zu ihr wären, und ob sie eine heutige anthroposophische Lehre wäre.

Dr. Steiner: Ja, meine Herren, wenn ich diese Frage beantworten soll, dann müssen Sie mir eben heute ein bißchen in ein schwer verständliches Gebiet folgen. Aber der Herr Burle, der auch schon die Frage über den Relativismus gestellt hat, der stellt ja immer so schwere Fragen! Und so müssen Sie heute eventuell darauf gefaßt sein, daß die Dinge nicht so leicht verständlich sind wie dasjenige, was ich sonst berichte. Aber sehen Sie, von Kant ist in einer leichtverständlichen Weise gar nicht zu erzählen, weil er eben in sich selber nicht leicht ver­ständlich ist. Es ist schon so, daß heute die ganze Welt eigentlich, die sich überhaupt für solche Dinge, ich will gar nicht sagen interessiert, denn in Wirklichkeit interessieren sich ja die wenigsten Menschen da­für, aber die vorgibt, sich dafür zu interessieren, von Kant redet wie von etwas, was im allereminentesten Sinne die Welt viel, viel angeht. Und Sie wissen ja auch, daß zu diesem zweihundertsten Geburtstage eine ganze Menge von Artikeln geschrieben worden sind, die also der Welt klarmachen sollten, was für eine ungeheure Bedeutung für das ganze Geistesleben Kant gehabt hat.
Sehen Sie, schon als Bub hörte ich in der Schule oftmals von dem Literaturgeschichtslehrer: Immanuel Kant war der Kaiser des litera­rischen Deutschlands! - Ich habe mich einmal versprochen und habe gesagt: König des literarischen Deutschlands. Da hat er mich gleich korrigiert und hat gesagt: Kaiser des literarischen Deutschlands!
Nun, ich habe mich gerade außerordentlich viel mit Kant beschäf­tigt und habe - das habe ich ja erzählt in meiner Lebensbeschreibung - eine Zeitlang einen Lehrer in der Geschichte gehabt, der eigentlich immer nur aus andern Büchern vorgelesen hat; ich habe mir gedacht: das kann ich selber lesen zu Hause, und als er einmal hinausgegangen ist, habe ich nachgeschaut, was er eigentlich vorliest. Und es war dann
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günstiger, daß ich mir das selber verschaffte. Aus «Reclams Universal-bibliothek» hatte ich mir Kants «Kritik der reinen Vernunft» besorgt; ich trennte es auseinander, und das habe ich dann hineingeheftet in mein Schulbuch, das ich während des Unterrichts vor mir liegen hatte, und las nun Kant, während vom Lehrer Geschichte gelehrt wurde. Deshalb habe ich mir auch ganz ordentlich getraut über Kant zu reden, von dem alle eigentlich immerfort so reden, daß die Leute, wenn man irgend etwas, was auf Geistiges Bezug hat, sagt, dann sagen: Ja, aber Steiner Kant hat gesagt. - Wie man in der Theologie immer sagt: Ja, aber die Bibel sagt -, so sagen eigentlich viele aufgeklärte Leute: Ja, aber Steiner Kant hat gesagt. - Ich habe vor jetzt vierundzwanzig Jahren Vorträge ge­halten; da lernte ich einen Menschen kennen, der im Auditorium saß und der immer schlief, immer schlafend zuhörte; manchmal, wenn von mir die Stimme ein bißchen erhoben wurde, da wurde er wach, und besonders am Schluß. Da habe ich auch einiges über Geistiges gesagt - da wachte er wieder auf, ist aufgesprungen immer wie ein Stehauf-männchen und rief: Aber Steiner Kant hat gesagt. - Also es ist schon so, daß man aus Steiner Kant außerordentlich viel Wesens macht.
Nun wollen wir uns einmal vor Augen stellen, wie eigentlich dieser Kant die Welt angesehen hat. Er sagte ja mit einem gewissen Recht:
Alles dasjenige, was wir sehen, was wir fühlen, kurz, was wir durch die Sinne wahrnehmen, also die ganze Natur, die außer uns ist, die ist nicht eine Wirklichkeit, sondern die ist ein Schein, eine Erscheinung. Aber wodurch entsteht sie? Ja, sie entsteht dadurch - das ist das Schwierige jetzt, da müssen Sie ganz gut aufpassen -, daß irgend etwas, was er «das Ding an sich» nannte, also etwas ganz Unbekanntes, wovon wir nichts wissen, auf uns einen Eindruck macht; und diesen Eindruck, den sehen wir eigentlich, nicht das Ding an sich.
Also sehen Sie, meine Herren, wenn ich es Ihnen aufzeichne, so ist die Sache so: Da ist der Mensch - man könnte es ebensogut mit dem Hören und Fühlen machen, wollen wir es mit dem Sehen machen -, da ist irgendwo draußen das Ding an sich. Aber von dem wissen wir nichts, das ist ganz unbekannt, von dem weiß man nichts. Aber dieses Ding an sich, das macht jetzt auf das Auge einen Eindruck. Von diesem weiß man auch noch nichts, aber auf das Auge wird ein Eindruck gemacht.
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Und da drinnen im Menschen, da entsteht jetzt eine Erscheinung, und diese Erscheinung, die plustern wir auf zu der ganzen Welt. (Auf die Zeichnung deutend): Von dem Roten wissen wir nichts, nur von dem, was wir da als Erscheinung haben; was ich also jetzt als Violett auf-zeichne, von dem wissen wir etwas. Also eigentlich ist die ganze Welt im Grunde genommen, nach Kant, vom Menschen gemacht. Sie sehen den Baum. Von dem Baum an sich wissen Sie gar nichts, der Baum macht nur einen Eindruck auf Sie, das heißt: irgend etwas Unbekanntes macht einen Eindruck auf Sie, und diesen Eindruck, den bilden Sie zum Baum, und Sie setzen in Ihren Wahrnehmungen den Baum hin. Also bedenken Sie: Hier ist ein Stuhl, ein Sessel - ein Ding an sich. Was da eigentlich ist, weiß man nicht; aber was da ist, macht auf mich einen Eindruck: ich stelle den Stuhl hin - aber auf was für ein Ding ich mich da eigentlich setze, wenn ich mich auf den Stuhl setze, das weiß man nicht. Das Ding an sich, das, worauf ich mich setze, das habe ich eigent­lich hingestellt.
Sehen Sie, Kant spricht so von den Erkenntnisgrenzen, daß man nie­mals wissen kann, was das Ding an sich ist, weil alles eigentlich nur eine vom Menschen gemachte Welt ist. Es ist sehr schwer, die Sache ernst­haft verständlich zu machen. Und wenn man über diesen Kant gefragt wird, da ist es schon so, daß man, wenn man ihn wirklich kennzeichnet, wirklich nun charakterisiert, eigentlich ganz merkwürdige Sachen sagen muß. Denn wenn man den wahren Kant ansieht, so ist es eigent­lich schwer, einem zu glauben, daß die Sache so ist. Aber es ist so, daß einfach Kant aus der Theorie heraus, aus dem Denken heraus behaup­tet: Von dem Ding an sich weiß niemand etwas, sondern die ganze Welt ist nur aus dem Eindruck gemacht, den wir von den Dingen empfangen.
Ich habe einmal gesagt: Wenn man also nicht weiß, was das Ding an sich ist, so kann es ja alles mögliche sein; es kann zum Beispiel aus Stecknadelköpfen bestehen! - So ist es auch bei Kant. Man kann ganz gut sagen: aus allem möglichen könnte nach ihm das Ding an sich beste­hen. Nun kommt aber das Weitere: Wenn man bei dieser Theorie stehenbleibt, sind Sie alle hier, wie ich Sie hier sehe, nur meine Erscheinung; ich habe Sie alle auf die Stühle hier gesetzt, und was dahintersteckt
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hinter jedem von Ihnen als Ding an sich, das weiß ich nicht. Und wie­derum, wenn ich da stehe, so wissen Sie auch nicht, was das für ein Ding an sich ist, sondern Sie sehen die Erscheinung, die Sie selber hinsetzen. Und was ich rede, das ist dasjenige, was Sie selber herhören! Also, was ich eigentlich da mache - das Ding an sich, was das eigentlich da macht, das wissen Sie alle nicht; aber dieses Ding an sich macht auf Sie einen Eindruck, und Sie werfen dann diesen Eindruck hierher; Sie hören im Grunde genommen dasjenige, was Sie selber machen!
Nun, gerade wenn man dies Beispiel nimmt, dann könnte man, wenn man im Kantschen Sinne redet, etwa das Folgende sagen: Sie sitzen da draußen und frühstücken und sagen: Ja, jetzt wollen wir einmal in den Saal hineingehen und wollen da einmal eine Stunde das und das hören. Was das für ein Ding an sich ist, was wir hören, das können wir nicht wissen; aber wir werden den Steiner da hinschauen, so daß wir - wenig­stens eine Stunde lang - diese Erscheinung haben, und nachher werden wir dasjenige, was wir hören wollen, hinhören. - Das ist es eigentlich zunächst, was der Kant sagt, deswegen, weil er behauptet: Niemals weiß man etwas vom Ding an sich!
Sehen Sie, einer der Nachfolger von Kant, Schopenhauer, der hat die Sache so klar gefunden, daß er gesagt hat: Daran kann man doch gar nicht zweifeln! - Das ist ganz sicher, sagt er, daß, wenn ich Blau sehe, dann nicht da draußen etwas blau ist, sondern von mir kommt das Blaue dahin, wenn ein Ding an sich auf mich einen Eindruck macht. Wenn ich von da draußen höre, daß einer jammert und einen Schmerz hat, dann kommt der Schmerz und das Gejammer nicht von ihm, son­dern von mir! Das, sagt Schopenhauer, ist eigentlich ganz klar. Und wenn der Mensch die Augen zumacht und schläft, dann ist die ganze Welt finster und stumm; dann ist gar nichts da für ihn.
Nun, Sie können nach dieser Theorie in der einfachsten Weise die Welt erschaffen und wieder wegtun. Sie schlafen ein, die Welt ist fort; und Sie wachen wiederum auf: und Sie haben die ganze Welt wiederum gemacht - wenigstens die, die Sie sehen. Außer dem ist nur das Ding an sich da, von dem Sie nichts wissen. Ja, das hat der Schopenhauer ganz klar gefunden. Aber dem Schopenhauer ist dabei doch etwas schwum­melig geworden. Es war ihm nicht recht wohl bei der Behauptung. Da
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hat er gesagt: Wenigstens etwas ist draußen - Blau und Rot, und alle Kälte und Wärme ist nicht draußen; wenn ich friere, mache ich selber die Kälte -, aber was draußen ist, ist der Wille. In allem lebt Wille. Und der Wille, der ist eine ganz freie dämonische Gewalt. Aber er lebt in allen Dingen.
Also er hat schon ein bißchen etwas in «das Ding an sich» hinein-getan. Alles, was wir vorstellen, hat er auch als eine bloße Erscheinung, die wir selber machen, angesehen; aber das Ding an sich hat er wenig­stens schon mit dem Willen ausgestattet. Es waren viele Leute und es sind bis heute viele Leute, die sich eigentlich gar nicht klarmachen, was die Konsequenzen der Kantschen Lehre sind. Ich habe einmal einen Menschen kennengelernt, der war nun wirklich - was man eigentlich sollte, wenn man eine Lehre hat - ganz durchdrungen von dieser Kant­schen Lehre, und der hat sich gesagt: Ich habe ja alles selber gemacht:
die Berge, die Wolken, die Sterne, alles, alles, und die Menschheit habe ich selber auch gemacht, und alles, was in der Welt ist, habe ich selber gemacht. Nun gefällt es mir aber nicht, was ich gemacht habe. Ich habe alles erschaffen; es gefällt mir aber jetzt nicht. Nun will ich es wieder wegschaffen. - Und da sagte er, er habe angefangen damit, ein paar Menschen umzubringen - er war eben wahnsinnig; er hat erzählt, daß er angefangen habe, ein paar Menschen umzubringen, um dem nachzu­kommen, daß er sie, die er selber gemacht hat, wieder wegschaffen wollte. Ich habe ihm gesagt, er solle nur nachdenken darüber, was da für ein Unterschied ist: Er hat ein Paar Stiefel; nach der Kantschen Lehre hat er auch diese gemacht. Aber er soll nur nachdenken, was neben dem, was er nun macht als Erscheinung an den Stiefeln, noch der Schuster gemacht hat!
Ja, sehen Sie, so ist es schon: Es gibt in dem, was als das Berühmteste in der Welt oftmals auftritt, das Allerunsinnigste! Und die Leute halten mit der ungeheuersten Starrsinnigkeit an dem Allerunsinnigsten fest. Und es sind gerade kurioserweise die Aufgeklärten, die daran festhalten.
Das, was ich Ihnen da in kurzen Worten, ohnedies schon recht schwer verständlich, gesagt habe, das muß man, wenn man Kant liest, in vielen Büchern lesen; denn das hat er nun auseinandergeschält in langen, langen Theorien; und er beginnt zum Beispiel sein Buch «Kritik
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der reinen Vernunft» - so nennt er es - damit, daß er zunächst beweist:
Der Raum, der ist nicht draußen in der Welt, den mache ich selber, den spinne ich aus mir heraus. Also erstens: Der Raum ist eine Erscheinung. Zweitens: Die Zeit ist auch eine Erscheinung. Denn da wird gesagt: Es gab einmal einen Aristoteles - ja, aber den mache ich selber in die Zeit hinein, denn die ganze Zeit mache ich selber!
Nun hat er dieses große Buch, die «Kritik der reinen Vernunft» ge­schrieben; es macht schon einen recht netten Eindruck. Wenn nun einer kommt, so ein richtiger Philister, und bekommt ein dickes Buch in die Hand, «Kritik der reinen Vernunft»: da leckt er sich die Finger ab, denn das ist etwas furchtbar Gescheites, Kritik der reinen Vernunft; da wird man halt selber so eine Art Herrgott auf der Erde, wenn man so etwas liest! Dann aber steht nach der Einleitung: Erster Teil. Die transzendentale Ästhetik. - Ja nun, nicht wahr, da steht: Die trans­zendentale Ästhetik. - Wenn einer meine «Philosophie der Freiheit» aufschlägt, so steht bei dem Kapitel vielleicht nur: Der Mensch und die Welt. - Oh, der Mensch und die Welt, das ist so etwas Gewöhnliches, aber: transzendentale Ästhetik! - Wenn der Philister ein solches Buch aufschlägt, das ist etwas, was etwas ganz Gewaltiges sein muß! Was transzendentale Ästhetik ist, dabei denkt er sich gewöhnlich nichts; aber das gerade ist ihm ja recht; das ist ein Wort, bei dem er sich ein bißchen die Zunge aushebt, wenn er es spricht. - Das ist der Obertitel.
Jetzt kommt der Untertitel: Erster Abschnitt. Die transzendentale Deduktion des Raumes. - Nun kann man sich doch nichts Schöneres denken für einen Philister, als daß er solch ein Kapitel hat. Und nach­her beginnt es in einer Weise, daß er eigentlich nichts davon versteht. Aber seit mehr als hundert Jahren sagt jeder Mensch: Steiner Kant ist ein gro­ßer Mann. - Also wenn er das liest, so kriegt er selber so ein bißchen was hinein, kommt so in einen kleinen Größenwahn.
Dann kommt der zweite Abschnitt: Die transzendentale Deduktion der Zeit. - Wenn man sich da nun durchgerungen hat durch die trans­zendentale Deduktion des Raumes und der Zeit, dann kommt das zweite große Hauptstück: die Transzendentale Analytik. - Und in der transzendentalen Analytik kommt hauptsächlich der Beweis, daß der Mensch eine transzendentale Apperzeption hat.
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Nun, ich bin gefragt worden, und ich muß Ihnen schon diese Dinge sagen, die Geschichte mit der transzendentalen Apperzeption. Da muß man schon viele hundert Seiten durchlesen, damit man alles in sich hin­einbekommt, was dadrinnen an Gelehrsamkeit in dieser Weise verzapft wird in dem Kapitel über die transzendentale Apperzeption. Mit der transzendentalen Apperzeption ist gemeint, daß der Mensch seine Vor­stellungen macht und eine Einheit in diesem Vorstellen ist. Also wenn alles nur Vorstellung ist, die ganze Welt, so muß eigentlich jetzt durch diese transzendentale Apperzeption die ganze Welt aus dem Nichts des eigenen Wesens heraus gesponnen werden. Ja, so ungefähr wird das da auch dargestellt.
Jetzt kommt man also dazu: der Kant spinnt in dem Kapitel über die transzendentale Apperzeption die ganze Welt mit allen Bäumen, Wolken, Sternen und so weiter aus sich heraus. Ja, er spinnt sie heraus -das sagt er. Aber was er in Wirklichkeit herausspinnt und womit man sich immer herumschlägt in diesem ganzen weiten Kapitel, das sind nämlich jene Vorstellungen, nur etwas ins Spätere übersetzt, die ich Ihnen letzthin auf dem Sephirothbaum aufgeschrieben habe, aber nur in der Form von a A - des bloßen Alphabets -, nicht so, daß man damit lesen kann, irgend etwas weiß! Und noch dazu: Da war es doch wenig­stens etwas sehr Konkretes. Aber Kant spinnt es so heraus, daß er sagt:
Die Welt besteht also erstens aus Quantität, zweitens aus Qualität, drittens aus Relation, viertens Modalität. Nun also, jeder von diesen Begriffen hat wiederum drei Unterbegriffe; zum Beispiel die Quanti­tät: Einheit, Vielheit, Allheit. Nun, die Qualität hat: Realität, Nega­tion, Limitation und so weiter. Das waren zwölf Begriffe - drei mal vier ist zwölf -, und män kann die Welt aus ihnen herausspinnen. Der gute Kant hat gar nicht die Welt damit herausgesponnen, sondern er hat eigentlich nur zwölf Begriffe herausgesponnen mit der transzen­dentalen Apperzeption. Also er hat eigentlich nur zwölf Begriffe ge­schaffen, nicht die Welt.
Wenn nun irgend etwas daran wäre an der Geschichte, so würde doch etwas dabei herauskommen! Aber das bemerken die Philister gar nicht, daß nichts herauskommt, daß nur zwölf Begriffe herauskommen, sondern sie gehen jetzt mit vollem Magen und mit Kantischer Philosophie
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durch die Welt und sagen: Nichts kann man begreifen! - Nun, das kann man bei den Philistern verstehen; sie finden sich angeheimelt, wenn ihnen gesagt wird: Wenn sie nichts begreifen, so kommt das nicht von ihnen, sondern von der ganzen Welt. Wenn du glaubst, daß du nichts weißt, so hast du schon recht; aber das kommt nicht davon, weil du nichts kannst, sondern weil die ganze Welt nichts wissen kann. -Und so kommen diese zwölf Begriffe heraus. Das ist dann die trans­zendentale Analytik.
Jetzt kommen aber noch die ganz schweren Kapitel. Da kommt dann dasjenige Kapitel, das überschrieben ist: Von den transzenden­talen Paralogismen. - So geht es ja überhaupt fort. Man bekommt in der Kantschen «Kritik der reinen Vernunft» Titel nach Titel! Da wird gesagt: Es gibt Leute, die behaupten: Der Raum ist unendlich. Aber es gibt auch Leute, die sagen: Der Raum ist begrenzt. - Das wird auch bewiesen, wie die Leute es eben beweisen. So daß Sie in der «reinenVer­nunft» später in den Kapiteln einander gegenübergestellt finden, auf der einen Seite wird bewiesen: Der Raum ist unendlich; auf der andern Seite wird bewiesen: Der Raum ist endlich. Dann wird wiederum be­wiesen: Die Zeit ist unendlich, ist eine Ewigkeit. Dann wird bewiesen:
Die Zeit hat einen Anfang genommen und wird ein Ende finden. Und so macht das der Kant, meine Herren. Dann wird bewiesen: Der Mensch ist frei. Und wiederum auf der andern Seite: Der Mensch ist unfrei.
Was will Kant dadurch sagen, daß er für die zwei entgegengesetzten Behauptungen die Beweise gibt? Er will damit sagen: Wir können über­haupt nichts beweisen! Wir können ebensogut behaupten: Der Raum ist unendlich wie endlich; die Zeit ist ewig, die Zeit wird ein Ende fin­den! - Ebensogut können wir sagen: Der Mensch ist frei, oder: Er ist unfrei. - Also das läuft darauf hinaus, daß man in der modernen Zeit sagen muß: Denkt wie ihr wollt, auf die Wahrheit kommt ihr nicht, sondern für euch Menschen ist alles gleich.
Dann bekommt man noch Anweisung darüber, wie man so denken kann, in der transzendentalen Methodik gelehrt. Auf diese Weise kann man zunächst ein Buch von Kant durchnehmen. Also man kann fragen:
Warum hat er denn eigentlich das alles unternommen? Da kommt man
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dann darauf, was der Kant eigentlich gewollt hat. Sehen Sie, bis zu Kant haben zwar die Leute, die Philosophie getrieben haben, auch nicht gerade viel gewußt, aber sie haben wenigstens behauptet: Einiges kann man wissen von der Welt. - Dem stand dasjenige gegenüber - was schon aus dem Mittelalter gekommen ist, weil man, wie ich Ihnen gezeigt habe, im Mittelalter das alte Wissen verloren hat -, was man schon im Mittel­alter gefaßt hat als Gedanken, daß man nur etwas wissen kann von dem, was die Sinne darstellen, und nichts wissen kann, was vom Geiste ist. Das muß man glauben. Und so entstand durch das Mittelalter und hinauf bis zu Kant die Behauptung: Man kann nichts wissen über das Geistige; vom Geistigen kann man nur etwas glauben.
Die Kirchen, die kommen natürlich mit dieser Lehre, daß man vom Geistigen nichts wissen könne, das müsse man glauben, sehr gut weg, denn dann können sie daraus diktieren, was der Mensch vom Geistigen glauben soll!
Nun gab es, wie gesagt, Philosophen, - Leibniz, Wolff und so wei­ter -, die bis zu Kant hin behaupteten, daß man wenigstens einiges wissen kann, durch bloße Vernunft wissen kann, was in der Welt Gei­stiges ist. Kant sagte nun: Das ist alles Unsinn, zu glauben, daß man irgend etwas vom Geistigen wissen kann, sondern das Geistige muß man alles bloß glauben! - Und Kant hat auch, als er die zweite Auflage seiner «Kritik der reinen Vernunft» geschrieben hat, sich verraten. In dieser zweiten Auflage steht ein kurioser Satz drinnen; da steht drinnen:
«Ich mußte das Wissen absetzen, um für den Glauben Platz zu bekom­men.» Das ist das Bekenntnis eigentlich, meine Herren! Das ist das­jenige, was zum unbekannten Ding an sich geführt hat! Deshalb nannte Kant sein Buch «Kritik der reinen Vernunft»: die Vernunft selber sollte kritisiert werden, daß sie nichts wissen kann. Und in diesem Satze:
«Ich mußte das Wissen absetzen, um für den Glauben Platz zu bekom­men», in diesem liegt eigentlich die Wahrheit der Kantschen Philoso­phie. Damit aber ist jedem Glauben Tür und Tor geöffnet. Und eigent­lich könnte sich auf Kant allein die positive Religion berufen! Aber es können sich auch diejenigen Leute auf Kant berufen, die überhaupt nichts wissen wollen, die sagen: Warum wissen wir denn nichts? Weil man nichts wissen kann! - Sehen Sie, so ist eigentlich die Lehre von
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Steiner Kant eine Stütze des Glaubens geworden. Daher war es ganz natürlich, daß ich selber vom Anfange an die Kantsche Lehre ganz habe abweisen müssen; obwohl ich als Schulbube schon den ganzen Kant gelesen habe, muß ich immer die Kantsche Lehre ganz abweisen, aus dem einfachen Grunde, weil man dann einfach hätte stehenbleiben müssen bei dem­jenigen, was die Leute glauben über die geistige Welt und niemals ein wirkliches geistiges Wissen hätte herauskommen können. Kant ist also eigentlich derjenige, der am meisten alle Geisteswissenschaft ausschließt und nur haben will einen gewissen Glauben.
So hat Kant zunächst dieses ganze Buch geschrieben: «Kritik der reinen Vernunft.» In dieser «Kritik der reinen Vernunft» wird also bewiesen: Vom Ding an sich weiß man nichts.
Dann hat er ein zweites Buch geschrieben: «Kritik der praktischen Vernunft.» Er hat dann noch ein drittes Buch geschrieben: «Kritik der Urteilskraft», aber das ist nicht so wichtig. Also «Kritik der prak­tischen Vernunft» hat er als zweites Buch geschrieben. Da hat er nun seinen eigenen Glauben aufgestellt. Also er hat erstens ein Buch des Wissens geschrieben: «Kritik der reinen Vernunft»; in dem hat er be­wiesen, daß man nichts wissen kann. Jetzt kann der Philister das Buch /aus der Hand legen; es ist bewiesen, daß man nichts wissen kann. Dann hat Kant geschrieben die «Kritik der praktischen Vernunft»; da baut er nun seinen Glauben auf. Wie baut er seinen Glauben auf? Da sagt er:
Wenn sich der Mensch in der Welt anschaut, so ist er ein unvollkom­menes Wesen; aber so unvollkommen zu sein, das ist eigentlich nicht menschlich; also muß es irgendwo eine größere Vollkommenheit des Menschen geben. Wir wissen zwar nichts darüber; aber glauben wir daran, daß es irgendwo innerhalb der Erde eine größere Vollkommen­heit des Menschen gibt, glauben wir an eine Unsterblichkeit.
Ja, sehen Sie, meine Herren, das unterscheidet sich allerdings wesent­lich von den wissenschaftlichen Betrachtungen, die ich Ihnen gebe für das, was vom Menschen fortlebt, wenn er durch den Tod geht! Kant will aber gar keine solche Erkenntnis, sondern will einfach aus der Un­vollkommenheit des Menschen heraus beweisen, daß der Mensch glau­ben soll an eine Unsterblichkeit.
Dann beweist er auf ebensolche Weise, daß man nur glauben soll,
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daß man nichts wissen könne über die Freiheit, sondern glauben soll, daß der Mensch frei ist; denn wenn er nicht frei wäre, so wäre er für seine Handlungen nicht verantwortlich. Also glaubt man, damit er ver­antwortlich sein kann, er sei frei.
Mich hat eigentlich oftmals diese Kantsche Lehre von der Freiheit erinnert an eine andere Lehre, die ein Professor der Jurisprudenz immer an den Anfang seiner Vorlesungen setzte. Er sagte: Meine Herren, da gibt es Menschen, die sagen: Der Mensch ist nicht frei. Aber, meine Herren, wenn der Mensch nicht frei wäre, dann wäre er nicht verant­wortlich für seine Taten. Dann könnte es aber auch keine Strafen geben. Wenn es aber keine Strafen gibt, dann kann es auch keine Strafwissen­schaft geben. Die Strafwissenschaft trage ich aber selber vor -, dann könnte es also auch mich nicht geben. Mich gibt es aber, also gibt es auch eine Strafwissenschaft, folglich gibt es auch eine Strafe, folglich auch eine Freiheit - also habe ich Ihnen bewiesen, daß es eine Freiheit gibt! - Ganz an diese Rede des Professors erinnert mich dasjenige, was Kant über die Freiheit sagt. Und ebenso redet Kant von Gott. Er sagt:
Wissen kann man nichts von irgendeiner göttlichen Macht an sich. Aber einen Elefanten kann ich doch nicht machen; also glaube ich, daß ihn ein anderer machen kann, der mehr kann als ich. Also glaube ich an einen Gott.
Nun hat also Kant dieses zweite Buch geschrieben, die «Kritik der praktischen Vernunft». In diesem hat er gesagt, man solle als Mensch glauben an Gott, Freiheit und Unsterblichkeit. Wissen kann man nichts darüber, aber glauben soll man es. Denken Sie nur einmal, was für ein Unmenschliches eigentlich da drinnen liegt: Erst wird bewiesen, daß das Wissen eigentlich nichts ist; zweitens, daß man an Gott, Freiheit und Unsterblichkeit glauben soll, von dem man nichts wissen kann! So ist also Kant im Grunde genommen der größte Reaktionär. Die Leute machen schöne Worte; daher haben sie ihn genannt den Alleszermalmer. Ja, das Wissen hat er alles zermalmt, aber nur so, wie wenn einer Spiel­zeug vernichtet. Denn die Welt ist ja trotzdem da geblieben! Und den Glauben, den hat er eigentlich in ganz beträchtlicher Weise gestützt.
Das ist dann fortgegangen das ganze 19. Jahrhundert, bis in unser Jahrhundert hineingekommen, und heute schreiben natürlich überall
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die Leute zum zweihundertsten Geburtstag Kants! Und in Wahrheit ist gerade der Steiner Kant ein Beispiel dafür, wie wenig die Menschen eigentlich nachdenken. Denn das, was ich Ihnen jetzt gesagt habe, das ist einfach die reine Darstellung der Kantschen Lehre! Aber dasjenige, was die Leute sagen: daß der Steiner Kant der größte Philosoph gewesen ist, daß Kant gar nicht zu widerlegen sei und so weiter - nun, nicht wahr, wenn man dieses Beispiel nimmt, dann bekommt man eigentlich so recht heraus, wie gerade der Kant es ist, auf den sich die Gegner der Geisteswissen­schaft immer stützen können. Einfach, nicht wahr, weil sie dann selber sagen können: Ja, wir gehen nicht von der Religion aus, sondern wir gehen von dem aufgeklärtesten Philosophen aus! - Aber es ist eben so, daß von Steiner Kant wirklich der dogmatischste Religionslehrer ausgehen könnte wie irgendein aufgeklärter Mensch.
Dann hat der Kant noch andere Schriften geschrieben, eine Schrift
etwa des Inhalts: Wie ist Metaphysik in aller Zukunft als Wissenschaft möglich?, worinnen er eigentlich wieder beweist, daß sie unmöglich ist und so weiter. Man muß eigentlich sagen: Die ganze Wissenschaft im 19. Jahrhundert hat eigentlich an Kant gekrankt; Kant war im Grunde genommen eine Wissenschaftskrankheit.
Nun, wenn Sie also den Kant nehmen als ein Beispiel, wie unsinnig eigentlich manchmal die geistige Entwickelung vor sich geht, dann haben Sie ihn in der richtigen Weise genommen. Aber dann werden Sie auch sich sagen: Man muß wirklich in der Erkenntnis achtgeben; denn die Welt ist furchtbar stark darauf aus, gerade in der Erkenntnis den allergrößten Unsinn zu betreiben. Und Sie können sich denken, in welch schwieriger Lage man als Vertreter der Geisteswissenschaft ist:
Man hat nicht nur die Vertreter der Religionen gegen sich, sondern man hat auch die andern Leute, die ganzen Philosophen und diejenigen, die wiederum von den Philosophen angesteckt sind, gegen sich und so wei­ter. Jeder Philister kommt und sagt: Ja, du behauptest über die geistige Welt dieses; Kant hat ja schon bewiesen - so sagen sie -, daß man dar­über nichts wissen kann! - Das ist eigentlich die beste Pauschaleinwendung, die man machen kann. Es kann einer sagen: Ich will überhaupt nichts von dem hören, was der Steiner sagt, denn der Kant hat ja schon bewiesen, daß man von alldem nichts wissen kann.
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Sind Sie befriedigt?

Es scheint, daß alles Negative, das Steiner dem Kant zuschreibt, auf ihn selber paßt. Ich bin geneigt, rhetorisch zu fragen: Geht's noch dümmer - oder noch gemeiner? Nehmen wir diesen Satz:

Jeder Philister kommt und sagt: Ja, du behauptest über die geistige Welt dieses; Kant hat ja schon bewiesen - so sagen sie -, daß man dar­über nichts wissen kann! - Das ist eigentlich die beste Pauschaleinwendung, die man machen kann.

So kann man natürlich auch über Anthroposophen reden, indem man den Satz leicht verändert:

Jeder Anthroposoph kommt und sagt: Ja, du behauptest über die Philosophie von Kant dieses; Steiner hat ja schon bewiesen - so sagen sie -, daß Kant eine Wissenschaftskrankheit war! - Das ist eigentlich die beste Pauschaleinwendung, die man machen kann.

Es ist schon merkwürdig, daß Steiner bis zum Schluß seine Vorurteile nicht aufgegeben und sein Ressentiment nicht abgemildert hat. Es wurde der Einwand gemacht, daß Steiner zu Arbeitern in etwas familiäreren Ton habe sprechen dürfen. Ein schlechter Einwand, denn abgesehen davon, daß es sich überwiegend nicht um Facharbeiter, sondern um unentgeltlich arbeitende Helfer gehandelt hat, also um Idealisten, so sollte man gerade den unbedarften Menschen freilassend gegenübertreten, anstatt sie mit Vorurteilen und Verurteilungen zu prägen. Solche Prägungen können lebenslang nachwirken!

Darüber möchte ich nicht die positiven Wirkungen kleinreden, die von Steiner ausgegangen sind.

Gruß
Thomas


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