Beispiel: "Der mein Brot ißt, tritt mich mit Füßen" - reingefallen auf falsche Übersetzung
In der Zeitschrift "Die Drei" gab es im Jahre 2002 eine Debatte zur "Wissenschaftlichkeit" der Anthroposophie (genauer wohl: des Steiner-Werkes). Unter dem Titel Geistesschau oder Verstandeswissen äußerte sich Hellmut Haug zur Deutung eines Evangelien-Textes durch Steiner. (Das PDF enthält zwei Beiträge; hier geht es um den zweiten.) Einleitend schreibt er (Hervorhebungen durch mich):
Da ich nicht alles zitieren kann, fasse ich das Weitere in eigene Worte:
Steiner pflegte zu betonen, daß er das Leben Christi selbst "geistig" erforscht habe, sich also nicht einfach nur aus den Evangelien bediene. Die Evangelien zitiere er nur, weil sie seine eigenen Erkenntnisse bestätigen würden. Nun lesen wir in Joh. 13,18 nach Luther: Der mein Brot isset, der tritt mich mit Füßen. Dazu Steiner in GA 103 ("Das Johannes-Evangelium", Mai 1908):
Pech nur, daß Steiner nicht das griechische Original oder, wie Haug schreibt, "seinen sonstigen Gewährsmann Weizsäcker, sondern einfach die Lutherbibel aufgeschlagen hat." Denn nur bei Luther steht es so, und der bevorzugte bekanntlich eine drastische Sprache.
Dagegen heißt es in der von Steiner sonst benutzten Übersetzung von K.Weizsäcker: Der mit mir das Brot isset, hat seine Ferse wider mich erhoben. Das ist die Übersetzung, die dem griechischen Urtext entspricht. Und der Sinnbezug ist eigentlich klar: Es geht um den Verrat durch Judas, der dem am Boden Liegenden, bildlich gesprochen, noch einen Fußtritt versetzt. Es geht nicht um ein Wandeln auf der Erde. Steiners Behauptung, daß Christus der Geist der Erde sei, wird dadurch nicht berührt; nur läßt sich das mit dem Bibeltext nicht belegen.
Der Autor folgert u.A.:
Im Zusammenhang mit den soeben erwähnten von Steiner postulierten zwei Jesusknaben weise ich noch darauf hin, daß Tomberg dieses Postulat nirgends bestätigt hat (Martinus übrigens auch nicht). Er ignoriert es einfach. Das spricht nun weder für noch gegen die Möglichkeit zweier Jesusknaben, aber gerade weil Steiner mit dieser Behauptung allein steht, sollten wir sie besser nicht für eine gesicherte Erkenntnis ansehen.
Nachtrag:
Soeben lese ich in Martin Krieles "Anthroposophie und Kirche", Seite 197:
Das Steiner-Zitat ist hier nicht belegt, aber wenn Steiner es so gesagt haben sollte, dann bestätigt es meine Beobachtung, die ich schon mehrfach geäußert habe: daß nämlich Steiner seinen Kritikern (also Gegnern) oft genug genau das vorwirft, was er selber tut. So wie er selbst nicht sagt, ob er "aus höheren Welten" spricht oder eine private Meinung vorträgt, so wirft er dem Papst vor, nicht anzugeben, ob er aus höherer Autorität oder seinen eigenen spricht.
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- Steiner als Ratgeber in Lebensfragen - inwieweit kann man ihn überhaupt noch ernstnehmen? - Kosmogonie, 12.07.2016, 09:54
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