Steiner als Ratgeber in Lebensfragen - inwieweit kann man ihn überhaupt noch ernstnehmen?
In GA 327-8 (Landwirtschaftlicher Kurs) lesen wir:
Sollten anthroposophische Ärzte das heute noch beherzigen (was ich ihnen nicht unterstellen möchte), dann würden sie sich in Widerspruch setzen zu allgemein bestätigten Erkenntnissen. Demnach hemmt der Genuß von Tomaten einen schon bestehenden Prostatakrebs, und wirkt ansonsten vorbeugend gegen Tumore allgemein.
Ein anderes Beispiel. Mich persönlich hat längere Zeit die Frage beschäftigt: Mache ich mich zum Philister, weil ich viel Schokolade esse? Diese Steinersche Behauptung ist natürlich kaum zu widerlegen. Doch immerhin enthält Schokolade Antioxydantien. Nachdem ich mich somit weitergebildet habe, nehme ich die Steinerschen "Hinweise" nicht mehr unbedingt ernst.
Manche Ratschläge Steiners lassen den unbefangenen (Nebenübung!) Leser schon intuitiv erkennen, daß sie irgendwie blödsinnig sind, so wie dieser hier (aus GA 348-10, bereits zitiert und besprochen in meiner Kosmogonie, Einleitung):
Prekär ist daran, daß Steiner das offenbar ernst gemeint hat. Oder nehmen wir diese "Erkenntnis" aus demselben Vortrag:
In diesem Zusammenhang will ich mich nicht unbedingt auf eine Rassismus-Diskussion einlassen, denn der heutige sogenannte "Antirassismus" ist seinerseits kritikwürdig und macht notwendig, daß man ihn hinterfrage.
Mich bewegt allein die Frage: Welche Behauptungen von Steiner kann ich überhaupt noch ernstnehmen? Ein deutsches Sprichwort lautet: "Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er zehnmal die Wahrheit spricht." Nun, Steiner "lügt" nicht, aber er ist auch nicht gerade selbstkritisch.
Besonders interessant finde ich natürlich die Behauptungen, welche die Kosmologie und die Menschheits-Entwicklung betreffen. Etwa, daß der Mond sich der Erde wieder annähere - was nach gegenwärtigen Erkenntnissen nicht zutrifft, im Gegenteil -, und daß er sich in fünf bis sechs Jahrtausenden wieder mit der Erde vereinigt haben werde. Denn das würde - nach Steiner - bedeuten, daß die Menschen sich nicht mehr sexuell fortpflanzen können. Nun sind wir zwar noch nicht soweit, aber da Entwicklungen, die eintreten werden, eventuell ihre Schatten vorauswerfen, sind sie dennoch von Bedeutung, um gegenwärtige Tendenzen zu interpretieren.
In derartigen Fällen wird die notwendig aufkommende Skepsis zu einem Problem von Dringlichkeit.
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Ich vermute, daß selbst die konsequentesten Steiner-Apologeten den Steiner nicht 100%ig ernst nehmen. Sie geben es nur nicht zu, vielleicht nicht einmal vor sich selbst. Sie verhalten sich insofern wie Priester, die vielleicht noch an Gott, aber nicht mehr an die Auferstehung glauben, über ihre Skepsis aber kein Wort verlieren (dürfen). Sie praktizieren das Tabu.
Ich möchte hiermit anregen, über die - mehr oder minder heimlichen - Zweifel bezüglich Steiners "Hinweisen" einmal zu reden. Leitfrage könnte sein: Was gehört zum unantastbaren, was zum diskussionswürdigen, und was zum belastenden Bestand?
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