Intuitions-Erkenntnis

Kosmogonie @, Mittwoch, 15. Juli 2020, 10:27 (vor 1522 Tagen) @ Uwe Todt

Lieber Herr Todt, vielen Dank für die Wiedergabe Ihrer persönlichen Aufzeichnungen inbezug auf die Entwicklung Ihres Ich-Erwachens. Für mich - und sicher auch für andere Leser - sind sie wertvoll. Aber als denkender Mensch kann ich mich damit natürlich nicht begnügen.

Aus Ihren Ausführungen will ich zwei in etwa gleichlautende Bemerkungen kommentieren, nämlich:

Eine Frage, wie Sie sie oben gestellt haben ["Folgen aus der von Ihnen erlebten Stille neuartige Erkenntnisse?", T.L.], wird nur ein Aristoteliker stellen, dem es um die Erscheinungen geht und nicht um die Verwandlung des eigenen Wesens, ohne die höhere Erkenntnisse nicht möglich sind, denn für den echten Platoniker sind die höheren Erkenntnisse nur ein Nebenergebnis.

und:

Neuartige Erkenntnisse habe ich nicht gewonnen.

Nach Steiner, dem frühen Steiner zumindest, sollte der Weg zu höheren Erkenntnissen mit der Erlangung der Imagination beginnen, zur Inspiration weiterschreiten und erst zuletzt in die Intuition einmünden. Diese Abfolge ist nicht zwingend, aber empfehlenswert, weil am sichersten. Imagnation ist demnach noch keine wirkliche höhere Erkenntnis, aber ein Berührtwerden, worauf der Ätherleib entsprechende Bilder herstellt, die erst zu deuten sind. Inspiration ist bereits intimes Gespräch mit höheren Wesen, und mit der Intuition geht man in höhere Wesen so hinein, daß deren Wahrnehmung zur Eigenwahrnehmung wird.

So besehen ist Intuition die "höchste" oder auch tiefstgehende Erkenntnisart. Aber sie ist nicht zugleich die weiteste. Die weitesten Erkenntnisse, oder die Voraussetzung hierfür, werden wohl durch die Imagination gewonnen. Dagegen verstehe ich die Intuition mehr als eine Nadelspitze, oder als die Spitze einer Pyramide, deren Basis die Imagination darstellt, und Zwischenbereiche der Inspiration entsprechen. Mit der Zeit kann aber auch die "Spitze" breit werden. Soweit meine Modellvorstellung der Erkenntnistypen.

Die erste Intuition, die bereits jeder Mensch hat, so Steiner, ist das Ich-Bewußtsein. Bei Ihnen, Herr Todt, ist das gesteigert zu einer echten, d.h. "höheren" Intuitions-Erkenntnis. Aber es ist "nur" Ihr eigenes ewiges Ich, aus dem Sie herausschauen. Daher haben Sie auch keine neuen Erkenntnisse, außer andeutungsweise, wie Sie schreiben:

Als ich heute in der Stadt war, merkte ich, wie sich mir ungewollt Gedanken-Wahrnehmungen von den Menschen bildeten, denen ich begegnete, die mir etwas über diese Menschen mitteilten.

Solange diese Menschen ihrerseits nicht hoch entwickelt sind, werden Sie, so vermute ich, auch keine höheren Erkenntnisse gewinnen. Dazu müßten Sie in das Ich zumindest von Engeln hineingehen.

Aber in diesem "ungewollt" sehe ich eine Gefahr, denn Ihnen könnte passieren, was auch dem Martinus passiert ist, wie Sie es auf Seiten 51-53 Ihrer Martinus-Biografie beschreiben. Er hatte nämlich nicht gleich die Kontrolle über seine Intuitions-Fähigkeit. Übrigens hatte auch Tomberg für eine gewisse Zeit das Problem, seine höhere Wahrnehmung nicht kontrollieren zu können. Das scheint aber die Inspiration betroffen zu haben.

Sie schrieben, wie oben zitiert, von der "Verwandlung des eigenen Wesens, ohne die höhere Erkenntnisse nicht möglich sind". Wie mir scheint, machen Sie den Fehler, die nötige Wesensverwandlung gleichzusetzen mit der - reduzierten - Intuitionserkenntnis, also dem vollständigen Ich-Erwachen. Die Verwandlung muß aber schon viel früher einsetzen, auch um die erwähnten Gefahren nach Möglichkeit zu vermeiden. Sie besteht z.B. in der erfolgreichen Anwendung der von Steiner beschriebenen Nebenübungen, etwa der Willens-Kontrolle.

Die andere Gefahr einer (zu) früh erlangten Intuitions-Erkenntnis könnte aber darin bestehen, daß man gar kein Bedürfnis mehr verspürt, zu einem wirklich Erkennenden, d.h. zu einem Aristoteliker zu werden. Was soll denn das sein, ein Aristoteliker, dem es "um die Erscheinungen geht und nicht um die Verwandlung des eigenen Wesens"? Selbst Gott kann sich nur an den Erscheinungen seiner selbst bewußt werden. Anderseits muß ein Aristoteliker, der als solcher ein breites Wissen anstrebt, selbstverständlich sich verwandeln, um durch Inspiration und durch Intuition dahin zu gelangen, die Erscheinungen im Gespräch mit höheren Wesen (Inspiration) bzw. unmittelbar aus diesen heraus (Intuition) zu erkennen. Und vermutlich beginnt der sicherste Weg mit der imaginativen Erkenntnis, d.h. durch Meditation Bilder im Ätherleib anzuregen und diese dann zu deuten.

Während meiner Teilnahme an einem Martinus-Kreis habe ich vernommen, daß Martinus ganz selbstverständlich mehr gewußt habe als Steiner, denn er sei ja dauerhaft in den X1-Zustand eingetaucht. Abgesehen davon, daß sich das Selbe auch inbezug auf Steiner behaupten läßt, scheint mir hier der Irrtum vorzuliegen, daß der Blick aus dem Ich-Bin heraus notwendig auf alles Erscheinende gleichzeitig gehen müsse. Der Blick, identisch mit einem Lichtstrahl, geht aber vielleicht nur durch ein ganz winziges Loch und erleuchtet nicht mehr als die eigene Individualität. Man hat den göttlichen Funken, ist aber nicht Gott, sondern von Gott, und erlebt dieses, aber mehr nicht.

Sie, Herr Todt, streiten ab, daß Ihr Ich-Erwachen ein luziferisches Erleben sei. Ich will das auch nicht behaupten; es war und bleibt aber meine Frage. Auch Luzifer ist ja ein sehr hohes Wesen, nämlich der Zwillingsbruder Christi. Luzifer hat wie Christus teil an der vollständigen Weisheit der Welt. Bei Luzifer fehlt ihr aber die Wärme; sie ist nur Licht und nichts als Licht, also kaltes Licht.

In diesem Zusammenhang ist es interessant, daß Martinus sich mit Krishnamurti verwandt fühlte. Über diesen lese ich in der Wikipedia:

Das Verhältnis zu seinen Schülern wurde oftmals als hart bezeichnet. Roland Vernon schreibt in seiner Biographie, Krishnamurti fehle normales menschliches Mitgefühl und Freundlichkeit. Er sei denen gegenüber, die er nicht auf seiner Ebene erachtete, intolerant und sogar verachtungsvoll aufgetreten. Mary Lutyens beschreibt Sitzungen mit Krishnamurti als gezieltes Verringern des eigenen Selbstvertrauens.

Wenn das zutrifft, dann paßt es auch, daß Krishnamurti dem Martinus bei ihrer einzigen Begegnung die kalte Schulter zeigte. (Siehe Seite 201 in Ihrer Martinus-Biografie.) Fast scheint es, als sei hier jemand seinem ungleichen Zwillingsbruder begegnet. Sicher war Martinus ganz vorwiegend christus-orientiert. Aber m.E. war er dennoch nicht ganz frei von luziferischen Illusionen, denn sonst hätte er seiner sechszylindrigen Weltmaschine nicht das Etikett "Drittes Testament" aufgeklebt.

Nach meinem Verständnis hat Tomberg vollgültig recht, wenn er schrieb (ich brachte an anderer Stelle ein langes Zitat), daß auch der höchstentwickelte Mensch immer nur einen winzigen Teil aus dem Buch des Lebens lesen kann und daß er sein Weltbild vervollständigt nach Maßgabe seines irdisch erworbenen Wissens.

Über die Erlangung höherer Erkenntnisse und insbesondere über die Veränderungen, die dabei im Menschen vor sich gehen, gibt es von Steiner einen ganz ausgezeichneten und gut lesbaren Zyklus, aus dem ich besonders den letzten Vortrag zur Lektüre dringend empfehle!

Thomas Lentze


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