Kosmogonie

Einleitung (Neufassung August 2015).

1. Vorbemerkungen (Neufassung 2015).
2. Die Literatur zur neueren spirituellen Kosmologie.
3. Selbstähnlichkeit in zyklischer Verschachtelung.
4. Wesen und Schichtungen.
5. Elementare Entwicklungsstufen.
6. Das Tropfsteinmodell.
7. Die Gottesfrage als ein perspektivisches Problem. Der Zimzum.
8. Wie erlangt man diese Erkenntnisse?
9. Einige kritische Bemerkungen zu Steiner und den Steinerianern.

1. Vorbemerkungen.

Kosmogonie bedeutet Welt-Entstehung;
Kosmologie ist die Lehre von der Welt-Entstehung.

Hier ist nicht von Physikalischer Kosmologie die Rede! Es geht vielmehr um eine umfassende Kosmologie, in welcher der physikalisch begreifbare Kosmos nur Teil eines größeren Ganzen ist. Setzt man, wie es hier durchgeführt wird, einen über-physischen, also geistigen Kosmos voraus, so folgt daraus, daß auch der physikalische Kosmos letztlich nur in seinem geistigen Kontext wirklich verstanden werden kann.

Damit stellt sich aber auch die Frage, ob ein umfassenderer Kosmos, als es der physikalische ist, überhaupt erkennbar ist. Angenommen, er sei es nicht, dann wäre es angemessen, eine diesbezügliche Darstellung als Kosmosophie zu bezeichnen. Die hier vorzulegende Darlegung hätte sich dann zu beschränken auf eine auswählende oder zusammenfassende Wiedergabe dessen, was an Tradition bereits vorliegt, und gegenbenenfalls, was der Autor noch aus seiner eigenen Anschauung hinzuzufügen weiß.

Nun liegt uns aber seit über hundert Jahren mit der "Geheimwissenschaft im Umriß" von Rudolf Steiner ein Werk vor, in welchem die Kosmogonie - zugleich auch die Theogonie und die Anthropogonie - nicht nur differenzierter und systematischer beschrieben worden ist als alles, was bis dahin veröffentlicht wurde; das Werk erhebt erstmals auch den Anspruch, Wissenschaft zu sein. Dieser Anspruch ist zurecht bestritten worden. Das ändert aber nichts daran, daß gleichzeitig mit der Gegenstandsbeschreibung auch eine umfassende Methodenlehre vorgelegt worden ist, die an das neuzeitliche Wissenschaftsverständnis anknüpft.

Freilich ist der Werktitel "Geheimwissenschaft" irritierend, weil in sich widersprüchlich. Ursprünglich wollte Steiner wohl auf die damals schon bekannte "Geheimlehre" der Theosophin H.P.Blavatsky anspielen, einem seiner Meinung nach unzureichenden, weil östlicher Tradition verhaftetem Werk, dem er nun etwas gegenüberstellen wollte, das an die fortgeschrittenere europäische Denkweise anknüpft.

Jedenfalls ist das Buch entgegen dem Anschein, der sein Titel erweckt, nicht für äußerlich Privilegierte, also für Auserwählte (Esoteriker) vorgesehen, sondern für die Öffentlichkeit. Und es beschreibt nicht nur Ergebnisse geistiger Forschung (wobei hier nicht zu entscheiden ist, ob es sich um bloß vermeintliche Ergebnisse handle), sondern es gibt erstmals Methoden zur Entwicklung derjenigen Fähigkeiten an, welche diese Forschung überhaupt erst möglich machen. Steiner behauptet, daß "in jedem Menschen" - in jedem heutigen Menschen, sei hinzugefügt - entwicklungsfähige Keime solcher Anlagen schlummern.

Was ich im Folgenden versuchen will, ist aber nicht nur eine zusammenfassende, dabei kritische Darstellung der Kosmologie, Theologie und Anthropologie, die Steiner in obengenannter Schrift sowie in zahlreichen Vorträgen gegeben hat. Ich will auch ihre Bezüge zur - überwiegend europäischen - Tradition aufweisen, etwa zum Neuplatonismus, zur Gnosis und zur jüdischen Mystik und Kabbala. Günter Röschert hat dies seinerseits unternommen in seinem Werk Metaphysik der Weltentwicklung. Rudolf Steiners Geheimwissenschaft im Umriß (2011). Ich stimme mit Röschert nicht in allen Dingen überein, so etwa nicht, wenn er behauptet, daß der Zimzum gleichzusetzen sei mit dem sich wiederholenden Pralaya-Zustand in Steiners Kosmologie, (der Ausdruck "Pralaya" ist ein Relikt aus Steiners theosophischem Lebens- und Wirkensabschnitt). Darauf werde ich zurückkommen.


2. Die Literatur zur neueren Spirituellen Kosmologie.

Mir sind verschiedene Autoren und Werke des neueren Okkultismus bekannt, welche die Entstehung der Welt und/oder der Menschheit vom spirituellen Standpunkt aus beschrieben haben. Unter anderen sind dies, chronologisch geordnet:

Ergiebigste Quelle ist der bezeichnete Abschnitt in Steiners "Geheimwissenschaft". Jedoch kann ich sie als Erstlektüre kaum empfehlen. Es handelt sich um eine Stoffsammlung ohne Strukturierung. Manche Absätze sind mehre Seiten lang; darin eingebaut sind Klammerausdrücke von vielen Zeilen Länge; bisweilen springt die Darstellung in einen früheren Zeitabschnitt zurück, ohne daß dies gekennzeichnet wird.

Für sinnvoller zur ersten Orientierung erachte ich die Aufsatzreihe "Aus der Akasha-Chronik". In zweiter Linie z.B. den "Entwurf zur Darstellung der geisteswissenschaftlichen Kosmologie" von 1903/1904 (auf diesem Portal veröffentlicht, s.o.), ansonsten auch die Vortragsreihen "Vor dem Tore der Theosophie" (1906), "Die Theosophie des Rosenkreuzers" (1907) oder "Die Apokalypse des Johannes" von 1908 (s.o.).

 


3. Selbstähnlichkeit in zyklischer Verschachtelung.

Doppelwendel

Betrachten Sie die Doppelwendel eines Glühfadens (siehe Bild links). Es handelt sich um eine Doppel-Helix, wobei aber die Windungen nicht parallel sondern eingeschachtelt verlaufen. Das ergibt bei sieben Wendeln 7 x 7 = 49 Wendeln. Denken Sie sich diesen Vorgang noch dreimal wiederholt, sodaß wir letztlich

7 x 7 x 7 x 7 x 7 = 75 = 16.807

verschiedene Zustände hätten. So viele Weltzustände sind es auch, wenn man sich an Steiners diesbezüglicher Darstellung in seinem Vortragszyklus über die Johannes-Apokalypse orientiert. Eine vereinfachte Darstellung dieser Anordnung gebe ich wie folgt:

Kosmogonie

Die oben schon erwähnte Siebener-Folge erster Ordnung (Alter Saturn bis Vulkan) ist hier, der Einfachheit halber, als Band dargestellt.

Hiervon habe ich die Erde herausgegriffen und ihre sieben sogenannten "Lebens-Zustände", also die Siebener-Folge zweiter Ordnung, dargestellt. Natürlich haben auch die anderen sechs Formen jeweils sieben Lebenszustände durchgemacht bzw. werden sie noch durchmachen; doch diese alle darzustellen, ist hier kein Platz.

Jede der sieben Lebenzustände durchläuft wiederum sieben Formstufen. Das ist die Siebener-Folge dritter Ordnung. Hier habe ich nur die sieben Formstufen des vierten Lebenszustandes aufgeführt.

Und wiederum durchläuft jeder Formzustand sieben Stufen, bei Steiner traditionsgemäß noch "Rassezustände" genannt. Das ist die Siebener-Folge vierter Ordnung. Hier habe ich die fünfte Stufe, die sogenannte nach-atlantische, herausgegriffen.

Jede der sieben Stufen durchläuft sieben (Kultur-)Epochen. Das ist die Siebener-Folge fünfter Ordnng. Wir leben gegenwärtig in der fünften Epoche (blaues Feld unten).

Sobald wir zwei weitere Epochen, nämlich die slawische und die amerikanische, durchlaufen haben und dann leider den "Krieg Aller gegen Alle" erleben müssen, springen wir in die sechste Stufe der nächsthöheren Ordnung, hier "Zeit der sieben Siegel" genannt, wo es wiederum 7 Epochen durchzumachen gilt, und so fort.

Übrigens werden die Zäsuren zwischen den Verkörperungen der Erde, je weiter man in der Septimal-Ordnung nach unten kommt, immer undeutlicher. Von Pralayas, dem Verschwinden ins Dunkel höherer Welten, kann man, außer in der ersten (oben illustrierten) Siebener-Ordnung, noch in der zweiten, vielleicht auch noch dritten Ordnung sprechen. Darunter gibt es nur noch Wandlungen durch Naturkatastrophen. In der untersten Ordnung (z.Z. sind das die sieben Kultur-Epochen) gehen die Zustände sogar ineinander über.

Würde sich die Einschachtelung der Siebener-Perioden ins Unendliche wiederholen, so hätten wir von einer strikten Selbstähnlichkeit zu sprechen. Reale Vorgänge dieser Art sind aber begrenzt. Die Selbstähnlichkeit ist übrigens Gegenstand der Fraktalen Geometrie. Man findet diese Erscheinungen häufig im Naturreich.


4. Wesen und Schichtungen.

Nun entstehen und vergehen die besagten Zustände, Stufen und Epochen aber nicht im Sinne eines Automatismus. Vielmehr entstehen und vergehen sie als Schauplätze von Entwicklungen einer neunstufigen Hierarchie von willensbegabten Geistwesen, die uns in der Entwicklungshöhe voraus sind. Hier sind sie aufgeführt:

Vater
Sohn / Logos
Hl. Geist

1. Seraphim (Geister der Liebe)
2. Cherubim (Geister der Harmonie)
3. Throne (Geister des Willens)

4. Kyriotetes (Geister der Weisheit - Herrschaften)
5. Dynameis (Geister der Bewegung - Mächte)
6. Exusiai (Geister der Form - Gewalten)

7. Archai (Urkräfte, Geister der Persönlichkeit)
8. Archangeloi (Erzengel, Feuergeister)
9. Angeloi (Engel, Söhne des Lebens)

10. Mensch

Die hier verwendeten Bezeichnungen habe ich von Steiner übernommen. Andere Autoren benutzen teilweise andere Namen. Entscheidend ist, daß ein Teil dieser Wesen sich in steter Wechselwirkung mit ihren Schauplätzen, d.h. irdischen Zuständen, Stufen und Epochen, entwickeln.


5. Elementare Entwicklungsstufen.

Am Ende des 5.Vortrages von GA 122 findet sich eine tabellarische Erläuterung zur Entstehung der Elemente und Ätherarten, die ich verändert wiedergebe. (Unter "Saturn", "Sonne", "Mond" sind nicht unsere heutigen Himmelskörper, sondern die oben aufgeführten ersten Bewußtseinsstufen zu verstehen.)

Saturn Sonne Mond Erde
Lebensäther
Klangäther Klangäther
Lichtäther Lichtäther Lichtäther
Wärme Wärme Wärme Wärme
Luft Luft Luft
Wasser Wasser
Erde

 

Wärme kann sowohl als Ätherart als auch als Element (im klassischen Sinne) aufgefaßt werden. Sie steht immer am Anfang einer Siebener-Reihe, bezeichnet also den Alten Saturn oder dessen Wiederholung als Lebens-, Form- oder Hauptstufe.

Oberhalb des Wärme-Bandes verfeinern oder "vergeistigen" sich die Zustände mit jedem Schritt; unterhalb, als Elementar- oder Aggregatzustände, verdichten sie sich entsprechend.

 

Im 7.Vortrag gibt Steiner eine Erläuterung zur Verdichtung der planetarischen Stufen durch die vier Elemente, die ich hier tabellarisch wiedergebe.

Saturn Sonne Mond Erde
Exusiai Wärme
Dynamis Wärme Luft
Kyriotetes Wärme Luft Wasser
Throne Wärme Luft Wasser Erde

Diese Zuordnung besagt: Alle der vier substanz-schaffenden Wesen haben innerhalb der Evolution der Erde begonnen mit dem Erzeugen von Wärme.

Die Throne haben aufgrund ihrer fortgeschrittenen Entwicklungshöhe am frühestens mit ihrer Tätigkeit einsetzen können, sodaß sie seitdem drei weitere planetarische Stufen durchlaufen konnten. Dabei haben sie die Verdichtung von der Wärme (auf dem Alten Saturn) über das Luftige (auf der Alten Sonne) und über das Wässrige (auf dem Alten Mond) bis hin zum Festen (auf der Erde) vorangetrieben.

Die Exusiai oder Formgeister haben erst mit der Erde ihre substanz-schaffende Tätigkeit begonnen, sind also noch nicht über das Erdige hinaus. Sie wirken hier also nur in der Wärme. Sie formen aus, wofür die Throne den Grund gelegt haben.


Eine genauere Betrachtung ergibt, daß die höheren Wesen (siehe oben unter 4.) die physikalischen Bestimmungen von Zeit, Raum, Bewegung und Festkörper hervorbringen, während die elementaren/ätherischen/sinnlichen Zustände in Zusammenhang mit Wesen stehen, die in der Evolutionshöhe jeweils vier Stufen tiefer stehen und an den elementaren Zuständen ihre Ich-Entwicklung durchmachen.

Saturn Sonne Mond Erde
Throne Zeit Zeit Zeit Zeit
Kyriotetes ... Raum Raum Raum
Dynamis ... ... Bewegung Bewegung
Exusiai ... ... ... Festkörper
Archai Wärme Wärme Wärme Wärme
Archangeloi ... Lichtäther;
Gasiges;
Sehsinn
Lichtäther;
Gasiges;
Sehsinn
Lichtäther;
Gasiges;
Sehsinn
Angeloi ... ... Klangäther;
Flüssiges;
Geschmack, Gehör
Klangäther;
Flüssiges;
Geschmack, Gehör
Menschen ... ... ... Lebens-, Wortäther;
Festes;
Geruch, Sprache

 


6. Das Tropfstein-Modell.

Tropfsteine wachsen in zwei Richtungen gleichzeitig. Was von oben herabwächst, nennt man Stalagtit; was von unten hinaufwächst, nennt man Stalagmit. Irgendwann begegnen sich beide und bilden zuletzt eine Säule. Die beiden Entwicklungen verlaufen also konvergent (Konvergenz = Sich-Annähern).

Tropfstein

Ähnlich verhält es sich mit der Entstehung des Menschen.

Das Bild zeigt diesbezüglich die ersten vier Stufen der obersten Siebener-Reihe. In der ersten Stufe, benannt "Saturn", entsteht, ausgehend von hochstehenden geistigen Wesenheiten, das sogenannte Atma, das ist die geistige Ur-Anlage des Menschen. Ebenfalls entsteht die erste Anlage zum physischen Menschenleib. (Genaugenommen geschieht das etwas früher; insofern hat der Tropfstein-Vergleich seine Grenze.)

Auf der nächsten Stufe, benannt "Sonne", ensteht auf ähnliche Weise die geistige Ur-Anlage der Tiere. Von unten her lagert sich dem schon vorhandenen physischen Leib jetzt ein Lebensleib (Ätherleib) auf. Es kommt also je oben und unten ein weiteres Glied hinzu, sodaß der Abstand beider Wuchsformen geringer wird. - Später berühren sie sich, und noch später durchdringen sie sich. Dies kann aber nur eine ganz grobe Darstellung sein, denn die Unterzyklen sind ja nicht berücksichtigt.

Zur Mitte der Erdenzeit hätten wir damit den sieben-gliedrigen (gegenwärtigen) Menschen. Von allen uns unmittelbar sichtbaren Wesen berühren sich nur bei ihm "Himmel" und "Erde", und zwar in seinem Ich.

Die Tiere sind noch nicht soweit. Bei ihnen ist eine Lücke in der vertikalen Stufenfolge. Diese ist noch größer bei den Pflanzen, und sehr groß bei den Mineralien. Dies sei jetzt nur zur Verdeutlichung des Prinzips erwähnt.

Das Tropfstein-Modell war für mich hilfreich zur Aufklärung eines Verständnis-Problems. Ich sagte mir eine Zeitlang nämlich: Auf der Alten Sonne kommt zum physischen Leib der Lebensleib hinzu; das ermöglicht das Leben von Pflanzenartigem. Auf dem Mond kommt der Astralleib (Empfindungsleib) hinzu; das ermöglicht die Existenz von Tieren. - Dann las ich: Auf der Alten Sonne wurden die Tiere veranlagt, auf dem Alten Mond die Pflanzen. Das erschien mir als Umkehrung dessen, was ich bereits zu wissen glaubte. Es stimmt aber beides - je nachdem, ob man die geistige Anlage oder aber die leibliche Grundlage meint.

Hatten Sie beim Anblick der Grafik an eine Sanduhr gedacht? Diese würde das Prinzip weniger gut darstellen, weil dort nur eine Umverteilung, kein Wachstum stattfindet.


7. Die Gottesfrage als ein perspektivisches Problem. Zimzum.

In seinem schon erwähnten Buch "Metaphysik der Weltentwicklung. Rudolf Steiners Geheimwissenschaft im Umriß" beklagt Günter Röschert (auf Seite 79) die Tatsache,

daß jedenfalls an den genannten Fundstellen [je ein Vortrag aus GA 99, 110, 136, 214] das oberste Geheimnis der Trinität, ihre vor- und außerweltliche Einheit, die Einheit der Drei, nicht thematisiert ist. Es bleibt die Frage, in welcher Form die Gottesfrage in der anthroposphischen Weltenwicklungs-(Schöpfungs-)Lehre zur Geltung kommt.

Offen gesagt: Ich persönlich kann mit dem Trinitätbegriff, so wie er im Laufe der Kirchengeschichte entwickelt worden ist, gegenwärtig nicht viel anfangen. Darum will ich mich jetzt auch nicht dazu äußern. Doch Röschert fährt fort:

Da Steiner als kosmischen Ort der biblischen Schöpfungsgeschichte (Genesis) die ersten Abschnitte der Erdentwicklung feststellt, nicht etwa die vorsaturnische Situation, kommt die Vortragsreihe Die Geheimnisse der biblischen Schöpfungsgeschichte für die Gottesfrage nur nachrangig in Betracht.

Dem möchte ich widersprechen. Ich unterstelle nämlich, daß für den Autor (oder dem Autoren-Kollektiv) der Genesis das Gleiche galt wie für Steiner, als der in Hinblick auf das Erlebnis der vierten Lebensstufe des Alten Saturn sagte, hier sei "die Welt wie mit Brettern verschlagen". Und so wie Steiner als höchste Wesen gerade noch die Throne erleben konnte, so konnte der Genesis-Autor - vermutlich - gerade noch die Exusiai erleben. Ich unterstelle, daß dieser sich keine noch höheren Wesen hat vorstellen wollen noch können.

Nun, Steiner spricht durchaus von noch höheren Wesen als den Thronen, aber mehr abstrakt. Er kennt sie ja aus der Tradition, ebenso wie Vater, Sohn und Heiliger Geist. Aus dieser Kenntnis - oder auch aufgrund von Mitteilungen hierarchischer Wesen - spricht er sogar von vorsaturnischen Welten. Nur reichte sein Einblick in die Akasha-Chronik vermutlich nicht so weit, daß er die Welten, in der höhere Wesen als die Throne wirksam waren, beschreiben konnte.

Ist aber das, was Steiner die Trinität nennt, oder ist der Vatergott wirklich das Höchste? In Max Heindels Hauptwerk, der jetzt so genannten "Kosmo-Konzeption", geht es noch weitere Stufen höher. Heindel hat aber sein Konzept aufgrund von Steiners persönlichen Mitteilungen entwickelt. (In der Folge warf Steiner ihm Geheimnisverrat vor und beklagte sich bitter über Heindel, so zum Beispiel in einem der Vorträge zum Fünften Evangelium.) Ich glaube auch in Steiners frühen Vorträgen über eine nach oben erweiterte Hierarchie gelesen zu haben, finde aber momentan keine diesbezügliche Stelle. In Büchern der Alice Bailey ist ebenfalls von noch höheren Wesen und Welten die Rede.

Ich stelle hiermit sozusagen eine "Relativitätstheorie der Gottesanschauung" auf: In konkreter Bedeutung gibt es keinen höchsten Gott; "das (höchste) Eine" bezeichnet immer die individuelle Erfahrungs- oder Vorstellungs-Grenze. Das kann der Engel (Angelos) sein, es kann Jahve bzw. die Elohim/Exusiai sein, oder eben, wie bei Steiner, noch höhere Wesen. Vielleicht hat Steiner aus genau diesem Grunde sich über die Trinität nicht groß ausgelassen.

Erkenntnisgrenzen gibt es auch für die kosmogonischen "Ruhepausen", die wohl in Anlehnung an unseren Schlafzustand so genannt worden sind. Denn was wir nachts durchmachen, ist nicht nur ein Ruhezustand, sondern die Entsprechung zum planetarischen Pralaya. Und sowenig selbst ein befähigter Hellseher heute in die Zustände zwischen den planetarischen Bewußtseins-, Lebens- und Formzuständen hineinschauen kann, sowenig kann es der normal entwickelte Mensch in den Zustand zwischen zwei Wachzuständen.

An dieser Stelle muß ich wiederum mein Nichteinverständnis mit einer der Behauptungen Günter Röscherts erklären. Er behauptet nämlich auf Seite 143:

In der Sichtweise der lurianischen Kabbala sind die Ruhepausen Reminiszenzen der vorweltlichen Gotteskontraktion (Zimzum).

Nun, diese Gotteskontraktion - oder der Zimzum - läßt sich grafisch darstellen wie folgt.

Zimzum

In Worten: Die unendliche Gottheit oder e(j)n sof zieht sich, ausgehend von einem Punkt innerhalb ihrer selbst, "in sich selbst" zurück. Es entsteht ein finsterer, absolut runder gottloser Raum, in welchem durch nachfolgende göttliche Emanation die Welt entsteht. Dabei ist zu beachten, ich zitiere aus der auch von Röschert erwähnten "Einführung in die lurianische Kabbala" von Gerold Necker (2008, Seite 81):

In der lurianischen Kabbala ist das Licht nicht wie in Gen. 1,3 ("Gott sprach: Es werde Licht") das Ergebnis des Wirken Gottes - von manchen Exegeten wurde der biblische Text sogar so verstanden, daß das Licht das Ersterschaffene ist - sondern En Sof ist selbst das göttliche Licht.

Damit sollte nun klar sein, daß der Zimzum der Erde-Sonne-Trennung entspricht, die nach Steiner in die Mitte der hyperboräischen Hauptstufe fällt. Diesen Vorgang beschreibt Steiner so, daß höhere Wesen sich von der Erde zurückziehen, um von ihrem neuen Wirkensort, der Sonne, lebensschaffende Lichtstrahlen in den jetzt dunklen Erdenraum zu senden. Dabei ist zu beachten, daß das damalige Sonnenlicht nicht, wie heute aufgrund der luziferischen Einwirkung, als physisch gerichtet wahrgenommen wurde, sondern aus dem gesamten Umkreis kam. Es ging von derjenigen kosmischen Sonne aus, die der antike Eingeweihte zur Mitternacht "sehen" konnte.

Die weiteren Vorgänge, die der lurianischen Kabbala gemäß auf den Zimzum folgen (Entstehung des Adam Kadmon und der Sefiroth; das strenge Gericht; die vier Welten; Bruch der Gefäße; Einhauchen des Geistes; die drei bzw. fünf Seelenglieder; Seelenwanderung usw.) lassen sich, soweit ich das gegenwärtig übersehe, gut mit den kosmologischen Schilderungen Steiners über die Zeit nach der Erde-Sonne-Trennung in Einklang bringen.

Was aber die "Ruhepausen" oder Pralayas betrifft, so findet sich auch in der Lurianischen Kabbala die Entsprechung ingestalt emanativer Rhythmen oder wiederholter Kontraktionen.

(Weitere Ausarbeitung ist vorgesehen.)


8. Wie erlangt man diese Erkenntnisse?

Es gibt, abgesehen von Steiners allgemein bekannten Darstellungen zur geistigen Schulung, zwei Vorträge aus dem Jahre 1913, welche mir in vorliegendem Zusammenhang von besonderem Interesse zu sein scheinen: erstens, weil sie jeweils drei Übungen in Hinblick auf die Reichweite der durch sie in Aussicht gestellten Erkenntnisse beschreiben; und zweitens, weil beide Vorträge oder Beschreibungen sich schwer in Einklang miteinander bringen lassen, zu einer vergleichenden Betrachtung also geradezu herausfordern.

Im ersten dieser beiden Vorträge, gehalten am 1. Mai 1913 in London (GA 152-1), setzt Steiner bei der meditativen Ausbildung dreier Kräfte an, die er einerseits mit den - jetzt von leiblicher Tätigkeit befreiten - Funktionen des Denkens, des Sprechens/Fühlens und des Wollens gleichsetzt, anderseits in den "Lotusblumen" der Stirn (2-blättrig), des Kehlkopfes (16-blättrig) und des Herzens (12-blättrig) lokalisiert. Ihre Ausbildung, für die Steiner jeweils ein Mantram (eigentlich Abwandlungen eines Licht-Mantrams) angibt, kann dann zur Bewußtwerdung bestimmter geistiger Bereiche führen. Ich gebe das wieder in tabellarischer Form:

Funktion Organ Mantram In Aussicht gestellte Fähigkeit
Denken Stirn-Lotusblume
(2-blättrig)
"Die Weisheit lebt im Licht" Rückschau in das eigene Dasein vor der Konzeption
(aber nicht in frühere Leben)
Fühlen Kehlkopf-Lotusblume
(16-blättrig)
"Die Weisheit erstrahlt in dem Licht" Rückschau bis hin zur Entstehung der Erde
und den ersten Verkörperungen der Seelen
Wollen Herz-Lotusblume
(12-blättrig)
"Die Weisheit der Welt erstrahlet im Lichte" Rückschau bis hin zum Alten Saturn

Aus dem Obenstehenden folgt, daß die erste Übung für eine Ausarbeitung der Kosmologie keine eigentliche Bedeutung hat, eher schon die zweite, vor Allem aber die dritte. Denn die Erkenntnisse, die durch sie in Aussicht gestellt werden, ermöglichen den Gesamtüberblick.

Im zweiten Vortrag, gehalten am 11. Oktober in Bergen (GA 140-20), setzt Steiner ebenfalls bei der Ausbildung dreier Kräfte an, die allerdings nicht durch Meditation, sondern durch Stauung bzw. durch besondere Aktualisierung zu verwandeln sind. Es handelt sich um die noch verfügbaren Kräfte, durch die in Kindheit und Jugend das Gehen, Sprechen, Denken erlernt worden sind. Dabei irritiert, daß es sich (fast) um die gleiche Kräfte-Dreiheit zu handeln scheint, zumindest aber die in Aussicht gestellten Fähigkeiten die gleichen sind, die Zuordnung aber irgendwie umgedreht erscheint:

Kindliche/jugendliche Kräfte Übung Bedenklichkeit In Aussicht gestellte Fähigkeit
zur Ausbildung des Denkens/
Strukturierung der grauen Gehirnmasse
Sieben Jahre lang "Denkverbot"
(betr. gehirngebundenes Denken)
unbedenklich Rückschau bis hin zum Alten Saturn
zur Ausbildung des Sprachorgans zurückhalten (?) gefährlich Rückschau bis hin zur Entstehung der Erde
und den ersten Verkörperungen der Seelen
zur Ausbildung der Aufrichtekraft
(Gehenlernen)
Erinnern, "Entdecken" dieser Kräfte; sieben
Jahre lang Eurhythmie treiben
unbedenklich Rückschau in das eigene Dasein vor der Konzeption
(aber nicht in frühere Leben)

Ein Vergleich beider Tabellen wirkt irritierend, denn zwar handelt es sich anscheinend um die gleichen Kräfte (Denken, Sprechen/Fühlen, Gehen/Wollen), und jedenfalls sind die in Aussicht gestellte Fähigkeiten genau die gleichen; jedoch ist die Zuordnung umgedreht.

Das fällt zumindest hinsichtlich der Denkkraft ins Auge. In ersten Falle soll ihre Verwandlung eine Hellsehfähigkeit hervorbringen, die sich auf einen relativ engen Zeitraum vor der Geburt beschränkt; im zweiten Falle soll sie die weiteste Sicht ermöglichen, die überhaupt möglich ist. Allerdings wird die Übung zur Verwandlung des Denkens ungleich beschrieben. Im ersten Falle soll das Denken meditativ leibbefreit und dann verstärkt, im zweiten Falle lediglich gestaut werden - gewissermaßen durch Nichtstun.

Inbezug auf die Sprachkraft ergibt sich kein Widerspruch hinsichtlich der Hellsehfähigkeit, die durch Verwandlung in Aussicht gestellt wird. Zwar handelt es sich um genau das gleiche Gebiet: die Erde seit ihrer Entstehung in der hyperboräischen oder lemurischen Zeit. Allerdings ist im ersten Falle wiederum von einer meditativen Verstärkung und von einem Gefühlsmoment die Rede, das mit der Sprache insofern zusammenhängt. Im zweiten Falle werden wir über die Art der vorzunehmenden Übung kaum aufgeklärt; diese wird als gefährlich eingestuft, und konsequenterweise wird von ihr abgeraten.

Was schließlich die Willenskraft betrifft, so stimmen die organischen Zuordnungen nicht mehr überein. In einem Falle ist das Herz das Organ des Willens; im anderen Falle bedient sich die Willenskraft der Beine (eigentlich des ganzen beweglichen Körpers). Hier liegt insofern die größte Divergenz. Das Überbewußtsein in der Meditation steht gegenüber dem Unterbewußtsein frühkindlicher, aus dem Vorgeburtlichen stammender Aufrichtekraft. Wie bringt man Beides in Beziehung?


 

9. Einige kritische Bemerkungen zu Steiner und den Steinerianern.

Es ist leicht einzusehen - und Steiner hebt das in dem zuerst erwähnten Vortrag auch ausdrücklich hervor -, daß ein mehrjähriger Verzicht auf gehirngebundenes Denken nur dann in der beschriebenen Weise hellsichtig machen kann, wenn dieses Denken zuvor gehörig ausgebildet, d.h. wissenschaftlich geschult worden und die Gehirnsubstanz dementsprechend strukturiert worden ist. Wo nicht, wie etwa bei Angehörigen wenig entwickelter Völker, liegt dann eben auch nichts vor, was umgewandelt werden könnte. Diese Menschen können zwar hellsichtig sein, aber in einer leibgebundenen Weise, nicht in dem Sinne, wie der Anthroposoph es anstrebt.

Sollte es nun zutreffen, was Steiner so nicht gesagt hat, aber in anthroposophischen Kreisen als stillschweigende Übereinkunft kursiert: daß er in früheren Leben unter Anderem als bedeutender Philosoph, namentlich als Aristoteles und als Thomas von Aquin verkörpert war, dann hätte er sich allerdings einen enormen Fundus gerade an derjenigen Intelligenz erworben, die nur durch Ausbildung des Gehirns möglich ist. Mit ihrem Opfer ließe sich die außerordentliche kosmologische Hellsichtigkeit Steiners erklären.

Ein Opfer erbringen heißt aber auch, daß einem danach etwas fehlt. So wäre im Falle des Opfers von einmal erworbenen Denkkräften damit zu rechnen, daß das Gehirn dieses Menschen nicht mehr die Ausbildung erfährt, die es während der früheren Verkörperungen bereits erlangt hatte, ja, daß es sogar hinter dem Ausbildungsgrad des Normalmenschen zurückbleibt.

Mir scheint, daß dies für Steiner zutraf. Er strebte eine akademisch-philosophische Laufbahn an, scheiterte aber. Seine Dissertation wurde nur mit Bedenken angenommen, seine Habilitationsschrift als völlig unzulänglich zurückgewiesen. Sein "Hauptwerk", die Philosophie der Freiheit, ist - außer in anthroposophischen Kreisen - vergessen, der Name seines Autors wird in keiner Philosophiegeschichte erwähnt. Kein Zweifel, die Philo-Sophia, um deren Hand er warb, hat ihn zurückgewiesen. Die reine Weisheit übrigens auch: Die vier Weltweisen auf einem Bild im Tempel der Philosophen in Tokio sind Buddha, Konfuzius, Sokrates und - Kant. (Siehe Wikipedia, Stichwort "Kant".)

Anthroposophen neigen dazu, die Nichtbeachtung Steiners der Originalität seiner Gedanken zuzuschreiben. Die Vorstellung, daß Steiner möglicherweise gar nicht in der Lage war, den Anforderungen einer akademischen Laufbahn zu genügen, mit anderen Worten, daß es ihm an Fähigkeit zu logischem Denken gefehlt habe, kommt ihnen nicht in Sinn. Dies auch nur in Betracht zu ziehen, erscheint ihnen bereits als Blasphemie.

Doch sehen wir uns - nur als Beispiel - einmal das merkwürdige Urteil an, das Steiner über Descartes' Formel "Ich denke, also bin ich" gefällt hat. In seiner Schrift "Philosophie und Anthroposophie" (GA 35) verstieg er sich zu der Behauptung:

Wenn man [...] wie der Philosoph Descartes sagen wollte: "Ich denke, also bin ich", so würde man von der Wirklichkeit jedesmal dann widerlegt, wenn man schläft. Denn dann ist man, ohne daß man denkt.

Später (in seinem Vortrag "Die Bedeutung des Thomismus in der Gegenwart" (GA 74) wiederholte er seine angebliche Widerlegung, und noch später (GA 205, 10. Vortrag) behauptete er sogar:

Es ist die unsinnigste Formel, die man sich denken kann [...].

Die Ignoranz, die Steiner hier zur Schau stellt, ist geradezu frappierend, weil sie selbst dem philosophisch wenig gebildeten Leser sofort ins Auge sticht. Descartes hatte nämlich nicht geschrieben: "Nur dann, wenn ich denke, bin ich (sonst nicht)", sondern er hatte eine Aussage getroffen, die man in Begriffen der Aussagenlogik als materiale Implikation (oder Subjunktion) bezeichnet:

A -> B

Steiner macht daraus eine materiale Äquivalenz (einen Bikonditional):

A ←→ B; A und B sind entweder beide wahr oder beide unwahr.

Dem anthroposophischen Gegner macht Steiner es mit solchen Patzern leicht. Der Schluß liegt nahe: Wer im logischen Denken "nicht einmal" das Niveau eines Gymnasiasten erreicht, der wird es erst recht nicht zu höheren Erkenntnissen bringen.

Tatsächlich ist mir bei der Lektüre Steiner schon der Gedanke gekommen, es mit einem Demenzkranken zu tun zu haben. Sehen wir uns etwa die Behauptung an, die Steiner vor Bauarbeitern des Goetheanums gemacht hat, siehe GA 348-10:

Wenn zum Beispiel die Mutter noch nie einen Menschen mit einer auffallend schiefen Nase gesehen hat und sie begegnet einem solchen gerade in den ersten Monaten der Schwangerschaft, so wird in den meisten Fällen, wenn nicht eine Regulierung eintritt, das Kind eine schiefe Nase bekommen. Und Sie werden sogar sehen können, daß in den meisten Fällen, wenn die Mutter überrascht wird durch einen, der die Nase schief nach rechts hat, so wird das Kind mit der Nase schief nach links geboren.

Die Behauptung als solche ist logisch widerspruchsfrei. Ihrer Form nach kommt sie von einem Menschen, der als Gehirndenker schon einmal Karriere gemacht und die entsprechenden Denkformen beibehalten hat. Fraglich ist nur der empirische Wahrheitsgehalt. Man könnte meinen, Steiner habe einen Witz machen wollen. Doch Steiner machte keine Witze, oder er kündigte sie sorgfältig an. Bezeichnend in obigem Zitat ist auch neben der für Steiner charakteristischen oberlehrerhaften Attitüde die Wendung "wenn nicht eine Regulierung eintritt". Das schockierte Publikum wird hierzu nämlich eine Klärung erwartet haben, wie denn eine solche Regulierung auszusehen habe. Doch da kam nichts, jedenfalls nicht im Vortrag.

Es handelt sich bei den erwähnten Irrtümern um "Aussetzer", die m.E. bedingt sind durch die Notwendigkeit eines Lebens im Auferstehungsleibe, Vorgänge, auch Denk-Vorgänge, die ansonsten automatisch ablaufen, ständig bewußt zu aktualisieren. (Ich unterstelle, daß wir alle den Auferstehungsleib Christi in uns veranlagt haben, wenn auch bis jetzt meist nur keimhaft; daß aber bei Steiner diese Ausbildung bereits in etwas höherem Grade gegeben war.)


Was weiter bei der Lektüre Steiners auffällt, ist der allseits beklagte "furchtbare" Sprachstil. Zumal aus den späteren in Dornach gehaltenen Vorträgen läßt sich kaum zitieren, ohne daß man die meisten Sätze weitgehend zusammenstreicht, um überhaupt etwas Aussagekräftiges herauszuziehen. Doch auch im Rückstand verbleiben meist nur wenige Goldkörner. Hervorstechende Stilmerkmale sind Wiederholung, Umständlichkeit und Pedanterie im Ausdruck; extreme Sprunghaftigkeit der Gedankenführung bei ständigem Themenwechsel; seitenlange Polemik gegen tote oder lebende Zeitgenossen, dabei bisweilen sogar eine bubenhafte Frechheit im Ausdruck (siehe z.B. die 12 Seiten lange Aburteilung Kants in GA 353-13).

Was die geschriebenen Bücher betrifft, gerade auch die "Geheimwissenschaft", so sind sie langweilig geschrieben und schlecht strukturiert. Steiner rechtfertigte sich mit dem Argument, daß die Leser ohne den Zwang zur Anstrengung nicht verstehen würden. Doch würde man dieses Argument auch einem Redner abnehmen, der so leise spricht, daß man ihm nur mit Anstrengung folgen kann? Und müßte man dann nicht dem Bibelübersetzer Luther, und überhaupt jedem guten Autor die lebhafte und bildreiche Sprache zum Vorwurf machen?

Aber ebenso wie der Mangel an Logik, so kann auch die sprachliche Unvollkommenheit unter einer bestimmten Voraussetzung aus einem Opfer abgeleitet werden. Im o.g. Vortrag aus GA 140 sagt Steiner nämlich auch, daß man, um in frühere Leben bis zur Zeit der Lemuris zurückschauen zu können, für längere Zeit die Kräfte zurückhalten muß, die zur Gestaltung der Sprache führen. Nun hatte Steiner zwar eine kräftige und tiefe Stimme. Den Kehlkopf hat es also sicher nicht "getroffen"; wie auch die Demenz (oder was danach aussieht) keine solche des grobstofflichen Gehirns gewesen sein muß. Der Schaden, wenn ich so sagen darf, dürfte in beiden Fällen dem Feinstofflichen der Organe zuzuschreiben sein. Auch bei Psychosen sind ja, der anthroposophischen Psychiatrie gemäß, Organe (Nieren, Leber, Herz, Lunge) betroffen, aber feinstofflich und ohne Beeinträchtigung ihrer physischen Funktion und Gestalt.

Inbezug auf das Sprechenlernen weist Steiner noch auf die Verbindung mit der Sexualität hin. Der Stimmwechsel zur Pubertät läßt diesen Zusammenhang plausibel erscheinen. Es liegt nahe, anzunehmen, daß ein Zurückhalten der sexuellen Kräfte nach erfolgter Organbildung einer späteren Bildung des Kehlkopfes zugutekommt, aber eben auch der sprachlichen Ausdrucksfähigkeit nimmt, was sie der ihr zugeordneten Hellsehfähigkeit zuschlägt. Auch hier aber müßte gelten: opfern kann man nur, was man hat - je mehr, desto besser. Insofern beruht die unter den Steinerianern so oft anzutreffende Leib- (und Sport-)Verachtung auf luziferischem Hochmut.


Auch inbezug auf die Kräfte, welche während der frühen Kindheit zum Gehenlernen gebraucht wurden, sich aber darüber hinaus erhalten haben, kann nur geopfert werden, was einmal erworben worden ist. In diesem Falle sind das die Kräfte, die den Aufbau eines starken und wohlgeformten Gliedmaßensystems ermöglicht haben. Diese Kräfte haben ausgeprägt moralischen Charakter, denn sie entspringen den relativ höchsten geistigen Welten. Und auch hier muß das Opfer nicht zu einer Schwächung des Organsystems während der betreffenden Verkörperung führen, eventuell aber zu einer Schwächung der natürlich angelegten moralischen Kräfte. Die folgende Passage aus GA 196-15 scheint mir hierfür bezeichnend:

Sie sehen gerade aus solch einem Dokument, daß es sich wahrlich nicht darum handeln kann, solchen Leuten Räson beizubringen. Man hat nur das andere Publikum darauf aufmerksam zu machen, was für schmähliche Menschen herumlaufen in der Welt und Artikel schreiben und verleumden. Denn es handelt sich gar nicht darum, diese Leute zu widerlegen, sondern lediglich sie unschädlich zu machen, denn daß diese Menschen existieren, das ist der Schaden.

Das hätte auch ein Stalinist oder Vertreter einer sonstigen totalitären Strömung sagen können. Es gibt an dieser Textstelle nichts zu beschönigen. - Im Übrigen ist gerade die Häufigkeit, mit der Steiner sich in ausgesprochen abfälliger Weise über seine bedeutenden Zeitgenossen geäußert hat, aus meiner Sicht geradezu frappierend.

Liest man etwa in der Anthrowiki zum Stichwort "Albert Einstein", dann kann man als Nicht-Steinerianer nur peinlich berührt sein über die Art, wie Steiner die bedeutendsten Physiker seiner Zeit pauschal aburteilte. Man fühlt sich erinnert an Stammtischgespräche, wo die Teilnehmer, alkoholisiert, aber ohne viel Sachkenntnis, Sätze fallen lassen wie: "Das sind doch alles nur Idioten." Steiner drückte sich so vulgär nicht aus und sicher trank er auch keinen Alkohol. Folglich sprach er nicht von Idioten, sondern von Neurasthenikern; das heißt, er trat gewissermaßen als selbsternannter psychiatrischer Gutachter auf. Das macht den Eindruck allerdings nicht besser. Immerhin handelte es sich um Vorträge vor Publikum. Daß also derartige Äußerungen an die "Außenwelt" weitergereicht wurden, war nicht auszuschließen.

Hier ist freilich auch der Nachlaßverwaltung der Vorwurf zu machen, daß sie dergleichen überhaupt veröffentlicht hat. Offenbar wurde und wird Steiner von seinen Anhängern dermaßen verehrt - gegen Steiners Willen, wie wir wissen -, daß sie selbst noch seinen peinlichsten Äußerungen den Wert von höheren Offenbarungen beimaßen bzw. beimessen. Die aus diesem Personkult resultierende maßlose Aufblähung der Gesamtausgabe (etwa 360 Bände) mit ihren unzähligen Wiederholungen und Trivialitäten erschwert die Rezeption noch einmal zusätzlich.

Was die Anthroposophie braucht, um sich Geltung in der Welt zu verschaffen, sind steiner-kritische Vertreter, die auf Andersdenkende nicht abfällig hinabschauen, sondern deren Denkbemühungen (die oft genug zu großartigen wissenschaftlichen Leistungen geführt haben) ernstnehmen. Wir haben auf die Welt zuzugehen; es ist ein grotesker Irrtum, anzunehmen, die maßgeblichen Menschen klopften an die Türen von Sektierern!

Über die körperlichen, seelischen und gesundheitlichen Folgen einer geistigen Schulung hat Steiner sich übrigens selbst ausführlich in seinen - relativ gut formulierten - Vorträgen unter dem Titel Welche Bedeutung hat die okkulte Entwicklung des Menschen für seine Hüllen (physischen Leib, Ätherleib, Astralleib) und sein Selbst? geäußert.

- Ende der Einleitung. -