Kosmogonie

Der Sündenfall als evolutives Ereignis.

Die beiden Eckpfeiler des christlichen Glaubenssystem sind Sündenfall und Auferstehung. Beide bedingen einander: Die Auferstehung setzt einen Fall voraus, wie anderseits der Fall allein keine Religion rechtfertigen würde, in der nicht auch von Auferstehung (oder Erlösung oder Heils-Tat) die Rede ist.

Ein bemerkenswerter Unterschied zwischen den beiden Elementen liegt aber insofern vor, als die Auferstehung geschichtlich genau datiert, ja Grundlage einer Zeitrechnung geworden ist, während der Sündenfall uns nur als Mythe überliefert ist, sich also geschichtlich nicht ohne Weiteres bestimmen läßt. Dennoch scheint es nicht unmöglich zu sein, das mit dem "Sündenfall" bezeichnete Ereignis - oder eine somit bezeichnete Ereignis-Folge - in das Evolutionsgeschehen einzuordnen. Von R.Steiner liegen dazu viele, leider oft unzusammenhängende Äußerungen vor; V.Tomberg hat sich zum selben Thema kürzer, dafür aber präziser geäußert. Nachfolgend versuche ich eine übersichtliche Darstellung.

Vorausgesetzt, daß, Tomberg zufolge, das Neue Testament mit der Jordantaufe beginnt, so tut sich dem vergleichenden Blick eine Parallele auf: Sowohl das Alte wie das Neue Testament beginnen mit der Schaffung eines Menschen - des Alten bzw. des Neuen Adam -, und beide lassen darauf sofort eine Versuchungsgeschichte folgen. Diese beiden Versuchungsgeschichten verhalten sich nun, das ist höchst bemerkenswert, gewissermaßen spiegelsymmetrisch zueinander. Auch die Orte sind gegensätzlich: Aus einem Garten wird Wüste.

Der Alte Adam wird geschaffen aus Erdenstaub -
Der Neue Adam wird gezeugt aus dem Himmel.

Der Alte Adam wird im Garten versucht und begründet die Erbschuld -
Der Neue Adam wird in der Wüste versucht und erlöst uns von der Erbschuld.

Sowohl im Matthäus- als auch im Lukas-Evangelium wird die Versuchung Jesu als ein dreifacher Akt beschrieben, wobei aber die Reihenfolge nicht übereinstimmt. Steiner und (ich unterstelle, unabhängig davon) Tomberg stellen die Reihenfolge so dar:

1. Der Versucher zeigt Jesus "alle Reiche der Welt in einem Augenblick" und will sie ihm zueigen machen, vorausgesetzt, Jesus betet ihn an.
2. Der Versucher entrückt Jesus auf die Zinne des Tempels und und fordert ihn auf, seine Göttlichkeit durch einen Sturz hinab zu beweisen. Es würde ihm nichts geschehen; er würde von Engeln aufgefangen.
3. Der Versucher legt dem hungernden Jesus nahe, Steine in Brot zu verwandeln.

Dem entsprechen in der Versuchungsgeschichte des Alten Testaments (ich folge hier allein Tombergs Darlegung) die folgenden Schritte:

1. Eva nimmt die Frucht des Baumes der Erkenntnis (den Apfel) an. Damit gewinnt sie das Unterscheidungsvermögen für Gut und Böse und insofern das Vermögen zum Neinsagen und zur Eigenliebe. Das Astralische (Seelische) wird vom Egoismus infiziert. Ein eigensüchtiges Wunschleben - wie z.B. der Besitzdrang (auf "die ganze Welt") - entsteht.
2. Sie gibt die Frucht dem Manne, der sie ebenfalls ißt. Dem Mann ist aber ein ausgeprägtes Ich zueigen. Dieses wird sozusagen in den astralischen Bereich ein Stück hinabgezogen; es fällt gleichsam "von der Zinne hinab". Und weil das Ich im Blut seinen physischen Träger hat, wird der Sündenfall jetzt erblich - die Erbschuld oder Erbsünde ist entstanden.
3. Zuletzt "wurden ihrer beiden Augen aufgetan", d.h. sie sahen sich einer physischen Welt gegenübergestellt. Eine Subjekt-Objekt-Spaltung war gegeben, und damit die Wahrnehmbarkeit der Welt und des Lichts von außen. Ursache war der Rückzug des ursprünglichen Eigenlichts, das zugleich göttliches Licht gewesen war. Dies ist der Ursprung des Materialismus, dem der Wunsch entspricht, "Steine in Brot zu verwandeln"; nicht "von oben", sondern "von unten" her die Welt zu gestalten.

Aus dieser Gegenüberstellung sollte ersichtlich werden, daß die Versuchung Jesu in der Wüste ihren dreifachen Ursprung in der Versuchung des Urmenschen im Garten hat. Nur eben wurde die Prüfung das zweite Mal bestanden:

1. Das Unterscheidungsvermögen, das früher durch Stattgeben an eine Versuchung entstand, wurde fortgebildet zur Fähigkeit, der Versuchung durch die Wunschnatur zu widerstehen. Der Mensch, der sich Gott hingibt, strebt nicht nach Weltherrschaft.
2. Damit widerstand das einstmals gefallene Ich der erneuten Versuchung, sich rauschhaft ins Weiblich-Astralische zu versenken; die Voraussetzung für die Aufhebung der Erbsünde wurde geschaffen.
3. Mit dem Widerstehen der Versuchung auf irdisch-technische Lösungen wurde das Ohr für das göttliche Wort wieder geöffnet und einer neuen Spiritualisierung der Weg bereitet.

Diese Vorgänge hat Tomberg in seinem Buch "Anthroposophische Betrachtungen über das Neue Testament" noch genauer beschrieben. Hier aber, wo es mir um Kosmologie geht, will ich der Frage nachgehen: Welchen Zeitaltern in der Kosmogonie ist das erste Versuchungsgeschehen im Einzelnen zuzuordnen?


Ich stelle hiermit die Behauptung auf, daß in der alttestamentlichen Versuchungsgeschichte drei weit auseinanderliegende Zeiten zusammengezogen worden sind.

Warum etwa gab der Versucher (Steiner und Tomberg zufolge handelte es sich um Luzifer) nicht gleich dem Manne zu essen? Brauchte er Eva etwa als Instrument oder Zwischenglied, weil der Mann mehr auf seine Frau hört, und diese wiederum mehr auf ihre innere Stimme? Das wäre nach heutigen Verhältnissen gedacht.

Mir erscheint als viel mehr plausibel, daß zur Zeit, da Luzifer an Eva herantrat, der Mann - also der Mensch als Ich-Wesen - noch gar nicht vorhanden war. Damit hätte sich die Versuchung noch kurz vor Erde-Mond-Trennung, oder allenfalls währenddessen, abgespielt. Bis dahin bedurfte es der Männer nicht, weil der Urmensch durch eine Art Regen aus dem Umkreis befruchtet wurde, oder sich durch ihn mittels eines besonderen Organs zur Selbstbefruchtung anregen ließ. Er war grundsätzlich gebärfähig, also weiblich. Erst indem der ausscheidende Mond diese atmosphärischen Befruchtungskräfte mit sich nahm, entstand die Notwendigkeit zu irdischen Befruchtungsspezialisten. Das sind die Männer.

Es folgt aus dem Vorhergehenden, daß der zweite Versuchungsschritt (Eva verführt Adam) erst nach der Erde-Mond-Trennung geschehen konnte. Woher aber kamen die Männer? Aus den Sternen! Es handelte sich um die unsterblichen Menschen-Seelen, die "Iche", die nach der Erde-Sonne-Trennung nach und nach auf die umliegenden Planeten (Saturn bis Merkur) ausgewichen waren und sich jetzt in mutierte "Frauenkörper", besser gesagt: in hierfür geeignete Vormenschenkörper, inkarnierten. Sie waren "sterngeboren". Steht hierfür vielleicht auch die "stirngeborene" Pallas Athene (die der Stirn des Zeus entsprang und, ihrem Namen zum Trotz, irgendwie männlich wirkt)?

Diese Annahme löst auch einen Widerspruch zwischen der Genesis und der Kosmologie von Steiner: Ersterer zufolge war Adam zuerst erschaffen; Eva wurde später, aus einer seiner Rippen, geformt. Nach Steiner hingegen war gerade der Urmensch weiblich; er bildete ein Ur-Matriarchat, so wie der Zukunftsmensch männlich, weil mutterlos sein wird. (Der auferstandene Christus hatte, anders als der zu Weihnachten geborene Jesus, keine Mutter, denn er war aus dem Geist gezeugt.) Angenommen aber, der Urmensch war ohne Ich, oder nur mit einer entsprechenden Form, und ansonsten mit sehr rohen astralischen Kräften ausgestattet, so war Adam, weil ichhaft, wirklich der erste Mensch. Eva war dann eine gleichsam abgeschwächte und dem Manne angepaßte, also vermenschlichte Form des Urmenschen, und ihm darum bei- und untergeordnet.

Was die dritte Stufe der alttestamentlichen Versuchung betrifft, so haben zumindest ihre Folgen, Tomberg gemäß, erst viel später, nämlich in der Atlantis eingesetzt. Das stimmt auch mit den Aussagen Steiners völlig überein, wonach die physische Verfestigung des Menschen - und ebenso der ihn umgebenden Welt - endgültig erst in der zweiten Hälfte der Atlantis sich vollendete. Hier setzte das Wirken Ahrimans ein, des Versuchers, der hinter Luzifer steht und die Schäden oder Sünden physisch verfestigt, die Luzifer auf seelischer Ebene eingeleitet hat. Doch auch damals noch herrschte "Niflheim", die Welt des Nebels. Erst nach der Atlantis, biblisch: nach der Sintflut, unterwarf der zunehmend ahrimanisch geprägte Mensch die Welt seiner technischen Verfügungsgewalt.