Steiners Geltungsanpruch als Philosoph im klassischen Sinne. Sein Beitrag zur Anthroposophie

Kosmogonie @, Samstag, 21. Mai 2016, 12:19 (vor 3136 Tagen) @ Bernhard
bearbeitet von Kosmogonie, Mittwoch, 05. April 2017, 16:34

Hallo Bernhard,

danke für deine kritischen Überlegungen. Es scheint, daß ich mich in mancherlei Hinsicht zu sehr pointiert ausgedrückt habe. Aber der Reihe nach. Du schreibst:

Nun, sicher war Steiner kein klassisch akademischer Philosoph; was aber nicht gleich heißt, dass er kein Philosoph im ursprünglichen Sinne war!

Doch, zumindest wollte er - ganz klar - ein Philosoph im klassischen Sinne sein, und überdies auch im akademischen Sinne. Letzteres ergibt sich schon daraus, daß er für längere Zeit eine Professur, zumindest aber eine Dozentur an einer Universität angestrebt hat. Dafür hat er auch bemerkenswerte Zugeständnisse gemacht, indem er diejenigen Philosophen, von denen er sich Förderung erhoffte, emphatisch umworben hat. Haeckel zum Beispiel. Siehe auch etwa den Aufsatz "Johannes Volkelt. Ein deutscher Denker der Gegenwart" vom 20. Februar 1887 in der "Deutschen Presse", wiederum veröffentlicht in GA 30. Diesem heute fast völlig vergessenen Philosophen stilisiert er geradezu zum Helden des Deutschtums, eine Charakteristik, die damals immer gut ankam. (Traub erwähnt diesen Aufsatz nicht.)

Weiter schreibst du:

Dass er wirklich(!) zutiefst nach Weisheit und Erkenntnis strebte und uns eine Fülle wahrer Weisheits- und Erkenntnisschätzen übermittelte, kann freilich nur von jemandem ermessen werden, der, selber nach wahrer Sinn-Erfüllung strebend, von seiner Lehre tiefinnig befriedigt, überreich befruchtet durch ihre keimhaften lebensvollen Anregungen zum eigenständigen Forschen und Lernen ermutigt wird.

Darauf antworte ich mit einer Passage aus der Einleitung von "Philosophie und Anthroposophie". Der Autor stellt zunächst fest (Hervorhebungen in Fettdruck durch mich):

Und nun das, worauf es mir ankommt:

Das ist der springende Punkt! Steiner wird deswegen oft so sehr überschätzt, weil man die Geistesgeschichte unterschätzt. Steiner-Apologeten sind regelmäßig bildungs-beschränkt. Sie haben die großen Philosophen nicht gelesen und wissen daher nicht, was ihnen damit entgangen ist. Wenn sie geistige Schätze bei Steiner kennenlernen, dann kommen ihnen diese originell und einmalig vor. Für große Teile der Kosmologie stimmt das auch - aber eben nur da.

Insofern betreibt Traub, wie er selbst schreibt,

Weiter schreibst du:

Mein Eindruck ist, dass es Traub allein darum geht, den potenziellen Rivalen Steiner aus dem "ehrwürdigen" Palais der akademischen Elite herauszudrängen bzw. herauszuhalten - zumal der materialistisch geprägte moderne Intellektuelle einen Geist, dem er selber niemals hinauffolgen kann, in der Tat fürchten muss.

Wieso Rivale? Steiner ist doch schon lange tot. Und selbst seine philosophischen Zeitgenossen werden ihn als potenziellen Rivalen kaum gefürchtet haben, zumal Steiner seinerseits fast auschließlich tote "Gegner" aufs Korn genommen hat. (Die Lebenden brauchte er ja, um überhaupt in den "ehrwürdigen Palais" aufgenommen zu werden.)

Merkwürdig aber Dein Hinweis, dass Traub nicht den hellsichtigen Steiner ins Visier nehme! Dann nämlich frage ich mich, was die 1000-seitige Schlammschlacht und Spiegelfechterei gegen den miserablen klassischen Wissenschaftler Steiner bezwecken soll.

Wie gesagt, die durch Hellsicht gewonnenen Erkenntnisse sind nicht Gegenstand von Traubs Kritik. Wie soll man sie denn auch kritisieren, da sie nicht nachprüfbar sind? Ich vermute, sie interessieren ihn auch nicht besonders. Für ihn ist Steiner interessant, weil er Wirkung ausgeübt hat und immer noch ausübt. Seine Untersuchung hat auch keineswegs den Charakter einer Schlammschlacht, und schon gar nicht den einer Spiegelfechterei; gerade letzteres trifft eher auf die philosophische Vorgehensweise Steiners zu, da dieser meistens Positionen bekämpft, die er selber konstruiert hat.

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Nun aber sollten wir uns aber auch mit dem Positiven beschäftigen. Traub zufolge hat ja Steiner einen wirklichen, sehr beachtlichen Fortschritt bewirkt, indem er weiterentwickelt hat, was im Werk von Johann Gottlieb Fichte angelegt war und durch dessen Sohn Immanuel Hermann sowie durch Ignaz Paul Vital Troxler in einer bestimmten Weise ausgestaltet worden ist - allerdings nicht konsequent, weil letztere beiden von der "genetischen" Methode in die beschreibende Methode zurückgefallen sind. Hierüber gibt das Schlußkapitel (S. 1008-1018) eine ausführliche zusammenfassende Auskunft.

Von J.G. Fichte angeregt ist

Wohlgemerkt, Steiner war nicht der erste Anthroposoph. Seine Vorgänger, von denen Steiner auch die Bezeichnung "Anthroposophie" übernommen hat, waren I.H.Fichte und Troxler.

Die "Philosophie der Freiheit" ist das Buch, auf welches Steiner seine "anthroposophische Forschungsmethode" begründet. Interessant ist dann aber das Folgende:

Fragen wir uns nun noch einmal: Was wäre, wenn Steiner doch noch die von ihm ersehnte Professur erhalten hätte? Ich vermute, es wäre nicht zu dem erwähnten "dozierenden Lehrstil" gekommen. Dazu nochmal Traub:

Das ist echte akademische Philosophie!

Ich hoffe, ich habe die Darstellung hiermit etwas vervollständigt.

Gruß
Thomas


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