Vom Schmerz der Tiere - nochmaliger Hinweis auf C.S.Lewis

Kosmogonie @, Samstag, 16. Juli 2016, 13:43 (vor 3002 Tagen) @ Bernhard
bearbeitet von Kosmogonie, Mittwoch, 19. April 2017, 18:06

Desgleichen weiß man z.B., dass die sprichwörtliche instinktive Feindschaft zwischen Hund und Katze sich tatsächlich umwandelt in gegenseitige Duldsamkeit und Zuneigung, sofern diese Tiere unter den Menschen gemeinsam ein moralisch gesundes Klima miterleben.

Hallo Bernhard!

Dein Satz, den ich oben zitierte, eignet sich gut, die Verbindung zu C.S.Lewis herzustellen. Er schrieb:

Der Mensch kann, sogar jetzt noch, Wunder an Tieren tun. Meine Katze und mein Hund leben zusammen in meinem Hause und sind es wohlzufrieden. Es mag eine der Aufgaben des Menschen gewesen sein, den Frieden unter den Tieren wiederherzustellen; und wenn er sich nicht mit dem Feind verbündet hätte, wäre ihm das vielleicht geglückt bis zu einem Ausmaß, das heute kaum vorstellbar ist.

Das steht im einschlägigen Kapitel "Der Schmerz des Tieres" im Buch "Über den Schmerz". Es umfaßt nur 15 Taschenbuch-Seiten (Ausgabe vom Brunnen-Verlag, 8.Aufl. 2012), doch diese Seiten enthalten mehr Wesentliches als alles, was ich in anthroposophischen Büchern gefunden habe.

An dem obigen Zitat ist u.A. interessant, daß von einem Unfrieden nicht zwischen Mensch und Tier, sondern zwischen den Tieren selbst die Rede ist. Für mich wirft das die Frage auf: Ist es denn überhaupt sinnvoll, die im Menschenreich gültige Forderung nach einem "ewigen Frieden" auf das Tierreich zu übertragen, da doch das Fressen und/oder Gefressenwerden ein konstituierendes Merkmal der Ernährung fast aller Tiere ist? Abgesehen davon, daß Tiere nicht allein durch Gefressenwerden leiden, sondern z.B. auch durch Naturereignisse wie natürlicher Nahrungsmangel, klimatische Veränderungen usw. Doch für Lewis ist die Sache eindeutig:

Das eigentlich Böse der tierischen Welt besteht darin, daß Tiere - oder doch einige Tiere - davon leben, daß sie einander töten. Daß Pflanzen einander töten, würde ich nicht als ein "Übel" ansehen. Die satanische Verderbnis [!] der Tiere würde daher in einer Hinsicht der Verderbnis des Menschen ähnlich sein. Eine Folge nämlich des Sündenfalles war, daß die animalische Natur des Menschen sich aus seiner menschlichen Natur, in der sie heraufgehoben war, wieder löste, weil sie sich nun nicht mehr einfach beherrschen ließ. So mag die Tierheit gleichermaßen dazu ermutigt worden sein, in ein pflanzenähnliches Gebaren zurückzugleiten.

Damit spricht Lewis auf die Tatsache an, daß auch Pflanzen miteinander konkurrieren und sich gegenseitig töten. Allerdings:

Die Tatsache, daß Pflanzen durch "Schmarotzen" voneinander leben und sich in einem Zustand "rücksichtsloser" Rivalität befinden, hat nicht die geringste moralische Bedeutung. "Leben" im biologischen Sinne hat nichts zu tun mit "gut" und "böse", bevor nicht Empfindungsfähigkeit dazutritt. [...] Ein Wald, in dem die eine Hälfte der Bäume die andere Hälfte umbringt, kann durchaus ein "guter" Wald sein; denn seine Gutheit besteht in seinem Nutzen und in seiner Schönheit; er empfindet nichts.

Hier muß ich in Kenntnis der Steinerschen Wesensglieder-Lehre ein Fragezeichen setzen. Denn auch Pflanzen haben einen Astralleib, allerdings einen gruppenbezogenen; vor Allem aber ist der nicht inkarniert. Nun kommt, Steiner zufolge, Schmerz durch Inkarnation und im Maße der Inkarnation des Astralleibes im physischen Leib zustande. Demnach sind Tiere ganz klar schmerzempfindlich (die Inkarnation des Astralleib ist bei ihnen noch viel tiefer als bei uns), Pflanzen aber nicht. Anderseits sagt Steiner, daß die Pflanze - besser gesagt: ihre Gruppenseele - Schmerz empfindet, wenn man sie mit der Wurzel ausreißt. Die Frage ist also vielleicht besser gestellt, wenn man fragt: Wo tritt der Schmerz auf?

Diese Frage leitet über zu einer weiteren für mich problematischen Behauptung von Lewis. Er sagt nämlich, die Aussage, das Tier empfinde Schmerz, sei uneigentlich; richtig müßte es heißen: "In diesem Tier findet Schmerz statt." Denn das Tier habe zwar ein Empfinden, aber kein Bewußtsein davon:

Wenn du einem solchen Tier zwei Schläge mit der Peitsche gibst, dann sind da wohl zwei Schmerzempfindungen; aber es fehlt das koordinierende Selbst, das erkennen könnte: "Ich habe zwei Schmerzempfindungen gehabt." Und sogar im Falle eines einzigen Schmerzes fehlt das Selbst, das sagen könnte: "Ich empfinde Schmerz." Wenn nämlich das Tier sich selbst von seinem Sinneseindruck, das Flußbett vom Strom, hinlänglich zu unterscheiden vermöchte, so daß es sagen könnte: "Ich empfinde Schmerz" - dann würde es auch fähig sein, die beiden Sinneseindrücke miteinander zu verbinden zu einer eigenen Erfahrung.

Nach Steiner hat aber das Tier sehr wohl ein Selbst (oder Ich); nur ist dieses, abgesehen von seiner Gruppenbezogenheit, nicht inkarniert. Dieser Gedanke findet sich sogar bei Lewis:

Wenn wir von Geschöpfen reden, die uns so fernstehen wie wilde oder prähistorische Tiere, wissen wir kaum, wovon wir reden. Es mag wohl sein, daß sie kein Selbst haben und kein Leid kennen. Es mag sogar sein, daß jede Spezies ein korporatives Selbst hat; daß also die "Löwenheit" - nicht der Löwe - an den Schöpfungswehen ihren Anteil hat und eingehen wird in die Wiederherstellung aller Dinge.

Dieses Problem steht in Zusammenhang mit einem noch größeren Problem, das Lewis uns - mir zumindest - aufgibt. Die entspechende Behauptung findet sich in einem vorangehenden Kapitel ("Menschlicher Schmerz·II"), ich zitiere ausnahmsweise daraus:

Fünftens: Wir dürfen das Problem des Schmerzes niemals größer machen, als es ist, etwa durch das vage Gerede von der "unvorstellbaren Summe menschlichen Elends". Nehmen wir an, ich hätte Zahnschmerzen von der Intensität x, und nehmen wir an, du säßest neben mir und bekämst gleichfalls Zahnschmerzen, auch von der Intensität x. Wenn du willst, kannst du also sagen, der Gesamtbetrag an Schmerz sein jetzt gleich 2 x. Aber du darfst nicht vergessen: Niemand leidet 2 x.

Und nun gehe ich durch alle Zeiten und Räume; jenen summierten Schmerz wirst du in niemandes Bewußtsein antreffen. So etwas wie die "Summe von Leid" gibt es gar nicht; denn es gibt niemanden, der sie erleidet. Wenn wir das Äußerste erreicht haben, was ein einzelner erleiden kann, dann haben wir ohne Zweifel etwas sehr Furchtbares erreicht; aber wir haben damit alles Leiden erreicht, das jemals in der Welt sein kann. Die Hinzufügung selbst einer Million von Leidensgefährten ist keine Hinzufügung von Schmerz.

Aber was erleidet Christus? Ist Er nicht etwas wie unser gemeinsames höheres Ich, das in allen Menschen mit uns leidet? Dieser Gedanke dürfte jedem ernsthaften Christen klar sein, so sicher auch Lewis. Und jeder ernsthafte Christ nähert sich diesem umfassenden Mit-Leiden. Mir scheint, daß Lewis in seiner eigenen Leidensangst, die er eingangs des Buches unumwunden zugibt, zu einem dialektischen Mittel der Leugnung gegriffen hat.

Zurück zum Kapitel über den Schmerz des Tieres. Dort findet sich eine Stelle, mit der Lewis seine These der Nichtsummierbarkeit des Schmerzes - hier bei Tieren - wieder infrage stellt:

Natürlich stimmt es, daß die ungeheuer hohe Sterblichkeit, die dadurch entsteht, daß viele Tiere von Tieren leben, in der Natur wieder ausgeglichen wird durch eine ebenso ungeheuer hohe Geburtenziffer; [...] Es bestand vielleicht gar keine Notwendigkeit für einen solchen Exzeß des geschlechtlichen Impulses; der Fürst dieser Welt aber dachte sich ihn als eine Entsprechung zu der Tatsache des Fleischfressens; eine doppelte Methode, ein Höchstmaß an Qual zu erreichen.

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Nun kommen wir zu einer These, die den kosmologisch Vorgebildeten beschäftigen muß, nämlich dem - von Lewis angenommenen - Primat der tierischen Verderbtheit vor der menschlichen. Zitat:

Der Ursprung des Leidens der Tiere konnte von früheren Jahrhunderten auf den Sündenfall zurückgeführt werden - die ganze Welt war krank geworden durch Adams zerstörerische Rebellion. Dies aber ist nicht mehr möglich; denn wir haben Grund anzunehmen, daß die Tiere lange vor dem Menschen existiert haben. Fleischfresserei mit allem, was daraus folgt, ist älter als die Menschheit.

Wie zur Entschuldigung fügt Lewis hinzu:

An diesem Punkt können wir nicht umhin, eine heilige Geschichte zu erzählen, die, obwohl niemals in die Glaubensbekenntnisse aufgenommen, doch weithin in der Kirche geglaubt worden ist und, wie es scheint, auch in mehreren Äußerungen des Herrn, des Paulus und des Johannes vorausgesetzt wird. Ich meine die Geschichte, daß der Mensch sich nicht als erstes Geschöpf gegen den Schöpfer erhoben hat; daß vielmehr ein älteres und mächtigeres Wesen lange zuvor von Ihm abgefallen sei, welches nun der Herrscher der Finsternis und (bezeichnenderweise) der "Fürst dieser Welt" sei.

Nun, dieses Wesen, genannt Luzifer, ist ja in "unseren" Kreisen mindestens so bekannt und so sehr Gesprächsthema wie Christus. - Lewis schließt:

Gibt es, wie ich selbst glaube, eine solche Macht, dann ist es durchaus möglich, daß sie die Schöpfungsordnung der Tiere schon vor dem Auftreten des Menschen verdorben hat.

Aus anthroposophischer Sicht darf man dies bezweifeln. Zwar waren die Tiere physisch vor dem Menschen da; aber heißt das, daß dieses Physischsein, so wie beim Menschen, auf einer Verderbnis durch Luzifer beruht? Dann müßten jedenfalls auch Pflanzen und Mineralien luziferisch verdorben sein. Offen gesagt, ich weiß diese Frage jetzt nicht zu beantworten. Ich hoffe, später zu einer Lösung zu finden.

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Doch wie dem sei, es geht ja um die Erlösung der Tiere aus ihren jetzigen Leidenszuständen. In diesem Zusammenhang thematisiert Lewis konsequenterweise auch die Frage ihrer Unsterblichkeit. Zitat:

Die wirkliche Schwierigkeit aber, die Unsterblichkeit der Tiere für möglich zu halten, ist dies: Unsterblichkeit bedeutet so gut wie nichts für ein Geschöpf, das (in dem vorhin erörterten Sinn) kein Bewußtsein hat. Wenn das Leben eines Wassermolches nur eine Folge von Sinneseindrücken ist - was eigentlich könnten wir damit sagen wollen, daß Gott den Molch, der heute verendete, wieder auferweckte. Er würde sich gar nicht als denselben Wassermolch erkennen. [...] der entscheidende Punkt [...] ist, daß der Wassermolch wahrscheinlich kein Ich hat.

Jedoch (Hervorhebungen durch mich):

Wenn der sehr überzeugende Eindruck von einer wirklichen, wenn auch zweifellos nur erst anfangshaften Selbstheit bei den höheren Tieren, besonders bei den Haustieren, nicht täuscht, dann dann verlangt ihr Schicksal dennoch eine etwas tiefer dringende Betrachtung. Zunächst müssen wir vor dem Irrtum auf der Hut sein, die Tiere für sich allein zu betrachten. Der Mensch kann nur verstanden werden in seiner Beziehung zu Gott. Die Tiere können nur verstanden werden in ihrer Beziehung zum Menschen und durch den Menschen zu Gott.

[...] Die Atheisten betrachten das Zugleichsein von Mensch und Tier als rein zufälliges Ergebnis des Aufeinanderwirkens biologischer Faktoren; und die Zähmung eines Tieres durch den Menschen ist für sie nichts weiter als ein willkürlicher Eingriff einer Spezies in den Bereich einer anderen Spezies. Das "wirkliche" oder "natürliche" ist für sie das wilde; das zahme Tier ist etwas Künstliches oder Unnatürliches. Ein Christ jedoch kann nicht so denken.

Der Mensch war von Gott dazu bestellt, über die Tiere zu herrschen, und alles, was der Mensch dem Tier antut, ist entweder die rechtmäßige Ausübung oder der freventliche Mißbrauch einer kraft göttlichen Rechtes verliehenen Autorität. Daher ist im tiefsten Sinne das zahme Tier das einzige "natürliche" Tier - das einzige, das den Platz ausfüllt, für den es gemacht worden ist. Und nur für das zahme Tier können wir unsere ganze Lehre von den Tieren gründen.

Ich halte dies für eine sehr bedeutsame Erkenntnis. Von den zoologisch orientierten Anthroposophen ist sie meines Wissens bisher nicht aufgegriffen worden. - Weiterhin sagt Lewis,

daß das zahme Tier, sofern es ein wirkliches Ich oder eine Individualität besitzt, sie beinahe völlig seinem Herrn verdankt.

Und so, wie wir nur "in" Christo auferstehen können, so kann auch das (zahme) Tier nur "im" Menschen auferstehen.

Du mußt das Gesamte nehmen, "in" welchem das Tier seine Selbstheit erlangt; und dieses Gesamte ist: "Der Hausvater und die Hausmutter, wachend über Kindern und Tieren im wohlbestellten Hausstand."

Dieses Ganze mag im paulinischen (oder näher im nachpaulinischen) Sinn als "Leib" bezeichnet werden. Wieviel also von diesem "Leib" wird mit dem Hausvater und der Hausmutter wiederauferweckt werden? [...] Wahrscheinlich soviel, wie nötig ist, nicht nur zur Verherrlichung Gottes und zur Seligkeit des Menschenpaares, sondern zu jener besonderen Herrlichkeit und jener besonderen Seligkeit, die auf ewig ihre Prägung erhält durch jene besondere Erfahrung. Und so gesehen, könnten - so scheint mir - bestimmte Tiere eine Art Unsterblichkeit besitzen, nicht in sich selbst, sondern in der Unsterblichkeit ihrer Herren.

Dies wird durch Lewis noch weiter ausgeführt. Ich habe bis jetzt nur einzelne Passagen zitiert. Es lohnt sich meines Erachtens sehr, das betreffende Kapitel, am Besten aber das ganze Buch selber zu lesen. Jetzt nur noch zwei Zitate. Das eine:

Denn wenn "christliche Kosmologie" überhaupt in irgendeinem Sinne (ich sage nicht in buchstäblichem Sinne) eine zutreffende Vorstellung ist, dann ist alles, was auf unserem Planeten existiert, auf den Menschen bezogen; und selbst Geschöpfe, die ausgestorben sind, noch ehe der Mensch auftrat, werden nur dann im rechten Licht gesehen, wenn sie gesehen werden als die unbewußten Vorboten des Menschen.

Das andere:

Meine unmaßgebliche Meinung ist, daß der Prophet sich einer orientalischen Hyperbel bedient, wenn er von dem Löwen und dem Lamme sagt, sie "lägen beieinander". Das wäre nämlich ziemlich unverschämt von dem Lamm. Würden Löwen und Lämmer, außer bei seltenen, alle Ordnung auf den Kopf stellenden himmlischen Saturnalien, auf solche Weise miteinander verkehren, so wäre das genau das gleiche, als gäbe es weder Löwen noch Lämmer. Ich glaube, der Löwe wird, wenn er aufgehört hat, gefährlich zu sein, immer noch ehrfürchtige Scheu erregen; in der Tat, erst dann werden wir das zu Gesicht bekommen, wovon die jetzigen Pranken und Klauen nur plumpe und satanisch entstellte Nachahmung sind.

Das wäre dann der urbildliche Löwe aus dem Viergetier. Und was die "entstellte Nachahmung" betrifft, so stimmt das überein mit der an sich rätselhaften Bemerkung Steiners, daß die Tiere Imaginationen Ahrimans seien. Die Korruption hat also, wie beim Menschen, nicht nur mit Luzifer zu tun. Diesen Vorgängen müßte weiter nachgegangen werden.

Gruß
Thomas


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