Steiners Verhältnis zu Husserl - ein Lehrbeispiel skandalöser Befangenheit
Kosmogonie , Donnerstag, 23. Juni 2016, 17:45 (vor 3103 Tagen)
bearbeitet von Kosmogonie, Montag, 27. Juni 2016, 16:17
Edmund Husserl (1859-1938), ein Zeitgenosse Steiners, ist unbestritten einer der einflußreichsten Philosophen des 20. Jahrhunderts. Das wird auch in dem Husserl-Artikel der Anthrowiki ausdrücklich erwähnt. Husserl war Begründer der phänomenologischen Schule. Darin geht es um die genaue Beobachtung des Denkens und der Bewußtseinsvorgänge überhaupt.
Umso befremdlicher ist die ablehnende Haltung Steiners zu Husserl, die so weit ging, daß er diesen in seiner philosophiegeschichtlichen Darstellung mit dem Titel "Die Rätsel der Philosophie" mit keinem Wort erwähnt. Diese Ignoranz ist wirklich erstaunlich, enthält doch dieses Buch, das umfangreichste von Steiner überhaupt, etwa 360 philosophische Autoren in seinem Namen-Register; darunter völlig unbedeutende, die heute kaum einer mehr kennt.
Man muß sich also fragen: Was ging in Steiner vor sich - er, der doch einmal in eine philosophisch-akademische Karriere so große Hoffnungen gesetzt hatte?
Aus der Monografie von Hartmut Traub über "Philosophie und Anthroposophie" wissen wir bereits, wie Steiner mit Philosophen umging: ausbeuterisch und zugleich - wenn der Ausdruck nicht zu stark ist - verleumderisch, und zwar durch willkürliche Ignoranz und entstellende Zitierung. Er hat sie der Reihe nach "abgefertigt", um sich selbst zu profilieren. Bei seinen Fachkollegen ist er damit nicht gut angekommen; umso mehr freilich bei der Mehrzahl seiner Anhänger, sehr zum Schaden der Anthroposophie als geistiger Bewegung.
Umso bemerkenswerter der Hinweis im o.g. Artikel der Anthrowiki auf einen Steiner-Text, in welchem sich Steiner doch noch über Husserl äußert. Es handelt sich um GA 73a, "Fachwissenschaften und Anthroposophie". Ich zitiere aus einem "Schlußwort nach dem Vortrag von Paula Matthes über die Frage «Was kann Philosophie dem Menschen heute noch geben?» (Dornach, 11. Mai 1920)", Seite 501f.:
Anmerkung: Husserl hat bei Franz Brentano studiert. Steiners "Empfindung" ist anscheinend also der Nachklang einer gehörten oder gelesenen Auskunft.
Anmerkung: Daß Husserl seine Einflüsse aus der philosophischen Tradition verleugnet hätte, ist mir neu.
Diese Ignoranz ist wirklich verblüffend. Man muß sich fragen: Was hat Steiner von Husserl eigentlich gelesen, genauer: welcher Text von Husserl hat ihm vorgelegen, aus dem er dann das Obige herausgelesen hat? Das würde ich gerne wissen!
Nun hat Husserl zu Lebzeiten nicht viel veröffentlicht. Aber seine "Logischen Untersuchungen" sind 1900/1901 erschienen; 1913 waren es dann die "Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie". Möglicherweise hat Steiner in überhaupt keines der von Husserl geschriebenen Bücher hineingeschaut, sondern in irgendein Lexikon, und sich seinen eigenen Reim darauf gemacht.
Mir liegt gegenwärtig kein Buch von Husserl vor, aber ein schmales Buch von Wilhelm Szilasi, Titel: "Einführung in die Philosophie Edmund Husserls" (1959). Mit Bezug auf das obige Steiner-Zitat (angebliche Unfähigkeit Husserls, zwischen Vorstellung und leibhaftem Wahrnehmen des Kölner Doms zu unterscheiden) zitiere ich aus dem ersten Abschnitt, "Deskriptive Phänomenologie" (Hervorhebung in Fettdruck durch mich):
Resümieren wir: Steiner behauptet, Husserl könne zwischen (Erinnerungs-)Vorstellen und leibhafter Anschauung des Kölner Domes - oder des Freiburger Münsters, um das von Szilasi gebrauchte Beispiel zu nehmen - nicht unterscheiden. Aber Husserl unterscheidet die Aktivitäten des Bewußtseins sehr genau, genauer als jeder Philosoph es vor ihm getan hat. Dabei ist das, was ich aus dem Einführungsbuch von Szilasi zitiert habe, selbstverständlich nur ein winziger Teil von Husserls Beschreibungen der Bewußtseins-Akte. Sehr bedeutend erscheint mir seine Transzendentalphilosophie, seine Unterscheidung der Ich-Schichten (das empirische, das transzendentale, das reine Ich), und zuletzt die Entdeckung der Lebenswelt.
Jetzt können, ja müssen wir uns fragen: Was hat Steiner bewogen, Husserl dermaßen auffällig zu ignorieren? Ich vermute dahinter die Tatsache, daß Husserl in äußerster Breite und Tiefe aus- und zuendegeführt hat, was Steiner in seiner "Philosophie der Freiheit" versucht hat, auszuführen, nur eben stümperhaft (vgl. die detaillierte Kritik von H.Traub). Dieselbe Einstellung dürfte es auch sein, die ihn bewogen hat, die Psychologie von Carl Gustav Jung und seiner Schule mit wenigen verächtlichen Bemerkungen abzutun.
Steiner wollte sich abheben und mit seiner Anthroposophie sich profilieren. Er wollte das Kulturleben dominieren, so wie vergleichsweise Marx und Freud es mit ihren Schulen zu dominieren suchten. Auch diese scharten Jünger - nicht nur Schüler! - um sich.
Gerade bei Steiner ist das umso schwerer erträglich, als er damit seinen eigenen Ansprüchen (Unbefangenheit, Vorurteilslosigkeit, inneres Schweigen...) zuwiderläuft. Zuletzt tritt zwangsläufig die Frage immer mehr in den Vordergrund: Kann ein so vorurteilsbeladener Mensch überhaupt "höhere" Erkenntnisse gewinnen? Und falls ja, wie zuverlässig sind die diesbezüglichen "Mitteilungen"?
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Nachtrag:
Die merkwürdige Parallele der Anschauungsbeispiele - einmal der Kölner Dom, andermal das Freiburger Münster - dürfte auf einer Gedächtnistäuschung seitens Steiner beruhen. Denn Husserl hat nie in Köln gelehrt, also sicher auch keinen Grund gehabt, sich auf den Kölner Dom zu beziehen. Er lehrte jedoch ab 1916 in Freiburg, kannte also mit Sicherheit auch das dortige Münster. Entweder also, so vermute ich, hat Steiner einmal einer Vorlesung von Husserl in Freiburg beigewohnt und nicht richtig zugehört, oder, wahrscheinlicher, hat er sich von einem Studenten Bericht geben lassen, und auch nicht richtig zugehört, oder der letztere, oder beide zusammen haben nicht zugehört oder nicht verstanden.
Steiners Verhältnis zu Husserl - ein Lehrbeispiel skandalöser Befangenheit
Bernhard, Freitag, 24. Juni 2016, 20:00 (vor 3102 Tagen) @ Kosmogonie
bearbeitet von Bernhard, Freitag, 24. Juni 2016, 20:06
Hallo, Thomas!
Deine großteils vollberechtige kritische Haltung Steiners Philosophie-Verständnis gegenüber in allen Ehren: Aber jetzt, fürchte, ich, geht mit Dir allmählich Dein intellektueller Ahriman durch!
Wir sind uns doch auch als eingefleischte Anthroposophen einig, dass Steiner trotz seiner unbezweifelbaren übersinnlichen Begabung nach wie vor und zu aller Lebzeit ein Mensch war, der sich zuweilen geirrt und getäuscht hat.
Zu Steiners Ehrenrettung als irrenden und täuschungsanfälligen Menschen möchte ich hier spontan folgendes anbringen: Du stellst richtig fest, dass er in seinen philosophischen Werken Husserl quasi völlig außen vor lässt. Gleichzeitig empörst Du Dich über das Wenige, das er an sekundären anderen Stellen zu und über Husserl sagte bzw. sagen konnte oder wollte.
Dass sich nun dies so verhält, ist für Steiners Integrität sicherlich bezeichnend: Denn wäre es ihm tatsächlich um eine bewusste und von sich selbst aus gewollte Auseinandersetzung mit Husserl gegangen, hätte er nach eingehendem Studium diesen in seinen philosophischen Arbeiten auch mehr oder weniger ausführlich erwähnt. Dennoch aber - oder besser: deshalb hat er sich entsprechender Kommentare zu Husserl enthalten, weil er sich dessen Grundideen gegenüber nicht hinreichend genähert hatte, nähern konnte oder wollte - wie auch immer. Was er öffentlich zu Husserls Philosophie äußerte - ob er etwa darum gebeten oder dazu genötigt wurde oder dies freiwillig tat, sei dahingestellt -, ist seine persönliche Ansicht über dasjenige, was er davon verstanden zu haben glaubt - weshalb denn auch in der Tat gerügt werden muss, dass er hierbei sein Urteil nicht auf sich persönlich beschränkt, sondern es verallgemeinernd als objektiv gültig in den Raum stellt. - Dies hinsichtlich auch auf die Möglichkeit hin, dass sich eines Tages auf wissenschaftlich objektivem Wege ergeben sollte, dass Steiner mit seinem Urteil recht hat... -
In der Astrosophie sprechen wir von der sogenannten "Adler-Perspektive". Diese bezeichnet die charakteristische Sicht- und Anschauungsweise des Skorpion-Adler-Typus, der - als geistig-spiritueller scharfer Beobachter und Beurteiler - die Welt und die Dinge von weit "oben" herab wahrnimmt, dabei alle Konturen der Gesamtgebiete mit höchster Schärfe ausmacht und sie voneinander klar zu unterscheiden versteht - dabei aber völlig unfähig ist, Einzelheiten und feine Differenzen zu erkennen, die zuletzt das individuelle eines Wesens ausmachen. Deshalb erscheint der typisch skorpionisch-adlerische Denker grundsätzlich hochmütig, "abgehoben", weltfremd und narzistisch. Aber mag sein Urteil über das Unten "von oben herab" ungenügend und mithin un-gültig sein: Dasjenige, was er aus unmittelbarer Nähe zum Oben über das Obere mitteilt, ist desto wahrer und authentischer. - Somit handelt es sich um einen reinen Fehlschluss, dem "Adler" zu unterstellen, über das Obere ebenso wenig glaubwürdig sprechen zu können wie über dasjenige, was er nur aus der Ferne erkennt. (Die Achse Skorpion-Stier weist auf die Notwendigkeit hin, dass die geistigen "Höhenflüge" des Hellsehers (Adler) regelmäßig durch seine "bodenständige" Teilhabe am praktischen Alltagsleben (Stier) kompensiert werden müssen, um an Leib, Seele und Geist gesund zu bleiben.)
Nochmal: Es darf und soll uns nicht darum gehen, Steiners sämtliche Worte auf die Goldwaage zu legen. Steiner war kein unfehlbarer Wahrheits-Verkünder, und er gab auch niemals vor, die absolute Wahrheit zu predigen! Wir dürfen nicht Ahrimans Verführungskünsten, mittels derer er uns vom schnurgeraden goldenen Mittelweg auf die niederen Pfade der intellektuellen Zerstückelung hinleiten will, verführen lassen! Folgen wir dem einzig weisen Rat des Apostels: "Prüfet aber alles - und das Beste behaltet!". Und um jenes Beste zu finden, bedarf es eines kühlen Kopfes und eines offenen warmen Herzens, wodurch wir denn auch fähig werden, die Spreu vom Weizen zu trennen.
Lieben Gruß!
Bernhard
Steiners Verhältnis zu Husserl - ein Lehrbeispiel skandalöser Befangenheit
Kosmogonie , Freitag, 24. Juni 2016, 21:54 (vor 3102 Tagen) @ Bernhard
bearbeitet von Kosmogonie, Freitag, 24. Juni 2016, 21:59
Lieber Bernhard!
Ich muß mich fast schon dafür entschuldigen, daß ich soviel Ungünstiges über Steiner vortrage. Aber es ist eben in diesem Falle sehr viel leichter, ihm Fehler nachzuweisen, als Wahrheiten zu bestätigen. Letztere sind ja, aus unserer Sicht, fast ausschließlich hypothetisch. Dann gibt es eben auch nichts zu bestätigen. Man kann es freilich interessant finden.
Anscheinend nimmst du Anstoß an diesen Sätzen von mir:
Mit deiner Entgegnung hast du freilich recht. Du hast gut begründet, weshalb Steiner in dem, was die Höhe betrifft, die Dinge dort wahrscheinlich viel klarer gesehen hat als die Dinge "hier unten". Ich habe ja selbst gelegentlich gesagt, wie ich dieses Verhältnis sehe, allerdings habe ich es anders begründet. Nämlich: Wenn das höhere Ich geboren wird, dann - ich halte mich jetzt direkt an Steiners Erläuterung - werden dem niederen Ich Kräfte entzogen, die ihm bis dahin Festigkeit verliehen haben. (Das ist wohl ähnlich wie bei Müttern, denen angeblich jedes Kind einen Zahn kostet). Darum betonte Steiner immer die Notwendigkeit, das niedere Ich durch Denk-, Willens- usw. Übungen zu festigen.
Aber vielleicht kann ein vollständiger Ausgleich nicht immer stattfinden, oder wird auch nicht angestrebt. Was dann folgt, hat Steiner in GA 145-1 ja gut beschrieben. Es muß also nicht immer gleich schlimm kommen, doch auffällig ist es unter Umständen schon. So eben auch bei Steiner.
Bedenke bitte auch: Ich messe Steiner an seinen eigenen Ansprüchen. Wenn ein philosophisch nicht allzu Begabter ein Buch schreibt mit dem Titel "Die Philosophie der Freiheit" - wohlgemerkt, "die" Philosophie, nicht "meine" Philosophie der Freiheit (oder Befreiung), was zutreffend gewesen wäre -, dann macht er sich freilich lächerlich.
Das eigentliche Problem sehe ich allerdings bei den Steinerianern. Wie Hartmut Traub richtig bemerkte, kennen die meisten von ihnen die Ideen- und Geistes-Geschichte nur aus dem, was Steiner darüber gesagt hat. Wozu noch Kant lesen, wenn Steiner "klarstellte", daß der ein Schwachkopf gewesen sei? Wozu über die Relativitätstheorie nachdenken, wenn Steiner bereits "festgestellt" hat, daß Einstein ein Neurastheniker gewesen sei?
Leider ist es gegenwärtig so, daß diejenigen, die Steiner auf den Gebieten ernstzunehmen beginnen, wo man ihn tatsächlich ernstnehmen darf und soll (wenn vielleicht auch mit katastrophalem Ergebnis), ihn nicht in seinen übersinnlichen Forschungen ernstnehmen. Ich versuche beides, und darum gehen auch meine Untersuchungen, die ich in der "Kosmogonie" gebe, ständig weiter. Vielleicht fallen dir die kleinen, aber stetigen Veränderungen dort nicht so auf, aber sie finden statt.
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Nebenbei habe ich auch die Forum-Funktionen erweitert. Du kannst jetzt in drei Farben zitieren. Das zu bewerkstelligen war auch eine ziemliche Arbeit!
Beste Grüße!
Thomas
P.S.:
Ich lese seit gestern Kants "Kritik der reinen Vernunft". Hätte ich damit fortgefahren, Steiner so ernstzunehmen wie bisher, dann hätte ich die Lektüre dieses hoch bedeutenden Buches weiterhin aufgeschoben.
Steiners Verhältnis zu Husserl - ein Lehrbeispiel skandalöser Befangenheit
Bernhard, Samstag, 25. Juni 2016, 08:47 (vor 3102 Tagen) @ Kosmogonie
Guten Morgen, Thomas!
Du schreibst, dass die meisten Steinerianer die Philosophen, über die Steiner schrieb/referierte, selber gar nicht gelesen haben. - Das wusste ich gar nicht!
Dies bestätigt freilich einmal mehr deren tatsächliche blinde Hörigkeit dem "Herrn Doktor" gegenüber: Wenn er sagt, der Kant ist ein Materialist - ja nun, dann ist er wohl einer! Aber mit Materialisten geben wir uns erst gar nicht ab - also: ad akta! -
Das heißt man Vorverurteilen - das Haupthindernis zu jeglicher Erkenntnis- und Wahrheitsfindung!
Ein von mir als Knabe sehr geschätzter und verehrter Lehrer, mit dem ich ungeheuer gerne diskutierte und auf weiten Spaziergängen lange Gespräche über "Gott und die Welt" führte, legte mir kurz vor meinem Schulabgang mit feierlich ernster Mine diese Lebensregel ans Herz:
"Urteile nur darüber, was du gründlich verstanden hast!" -
Dieses Wort hat sich mir tief und fest eingeprägt! - Der Lehrer kannte sehr wohl die nachhaltige Schlag- und Wirkkraft des endgültig gefällten Urteils - positiv wie negativ, je nachdem, wie es seiner echten oder falschen inneren Wertigkeit nach ausfällt. -
Gründlich! Das bedeutet mitunter: Lebenslange Studien- und Erkenntnisarbeit! -
Ich habe früh erkannt, dass jene Regel eine mir persönlich zugedachte Schicksalsweisung ist - und dass sie gerade auch für mich von größter Bedeutung sein würde...
Wenngleich ich es sehr gern hätte, die Maxime bei Steiner zu finden, bin ich dennoch überzeugt, dass er selber diesbezüglich aufrichtig bemüht war. Immerhin hat er offen und klar darauf hingewiesen, seine Mitteilungen auf ihre Richtigkeit hin nachzuprüfen. Wenn dies seine Nachfolger und Schüler dennoch nicht tun, sondern sie als absolut wahrhaftig hinnehmen und herausstellen, darf man sich nicht wundern, wenn im Nachhinein kritische Geister wie Du die Traum- und Trugschlösser der Steinerianer zu Staub zerfallen lassen.
Schönen Tag!
Bernhard
Steiners Verhältnis zu Husserl - ein Lehrbeispiel skandalöser Befangenheit
Kosmogonie , Montag, 27. Juni 2016, 23:55 (vor 3099 Tagen) @ Bernhard
bearbeitet von Kosmogonie, Montag, 27. Juni 2016, 23:59
Ein von mir als Knabe sehr geschätzter und verehrter Lehrer, mit dem ich ungeheuer gerne diskutierte und auf weiten Spaziergängen lange Gespräche über "Gott und die Welt" führte, legte mir kurz vor meinem Schulabgang mit feierlich ernster Mine diese Lebensregel ans Herz:
"Urteile nur darüber, was du gründlich verstanden hast!" -
Dieses Wort hat sich mir tief und fest eingeprägt! - Der Lehrer kannte sehr wohl die nachhaltige Schlag- und Wirkkraft des endgültig gefällten Urteils - positiv wie negativ, je nachdem, wie es seiner echten oder falschen inneren Wertigkeit nach ausfällt. -
Hallo Bernhard,
das ist eine Mitteilung, die in mir Wohlgefallen weckt. Leider habe ich keine Lehrer gehabt, die mir irgendwelche Lebensregeln mitgegeben haben. Auch in späteren Lebensabschnitten nicht. Ich habe das lange Zeit als eine Art Unglück empfunden, aber mich irgendwann damit abgefunden, indem ich mir sagte: Nun liegt es an mir, Anderen, wenn möglich und wenn gewünscht, Ratschläge zu geben. (Es gibt Leute, die mögen das gar nicht, so wie ein Priester in meiner Gemeinde, der viel mit Konfirmanden zu tun hat und dazu neigt, auch die Erwachsenen als verspätete Konfirmanden zu sehen.)
Gruß!
Thomas
Steiners Verhältnis zu Husserl - ein Lehrbeispiel skandalöser Befangenheit
Rembert Amons , Niederlande, Freitag, 08. Juli 2016, 10:17 (vor 3089 Tagen) @ Kosmogonie
Das ist eine interessante Sache mit Steiner und Husserl. Es gibt sogar Leute, die in Husserl einen Philosophen sehen der im Geiste Steiners gedacht hat, jedenfalls „Phänomenologisch“ gedacht hat. Ich gelangte auf diese Webseite, durch die Suche nach dem Kölner Dom im Zusammenhang mit Husserl. Nicht wegen wenige Bemerkungen von Steiner die ich im Text gelesen habe, sondern wegen der Auseinandersetzung von Gottlob Frege in seinem Aufsatz “Der Gedanke“. Dort ist das Beispiel der Kölner Dom und ich fragte mich, ob vielleicht Husserl dieses Beispiel auch mal benutzt hat. Die obigen Bemerkungen Steiners waren mir bekannt. Solche Beispiele werden oft wieder aufgegriffen umso deutlicher die eigene Position gegenüber einer anderen abheben zu können. Der Aufsatz „Der Gedanke“ könnte sehr interessant für Steinerforscher sei . Da wird auch ganz klar zwischen Vorstellung und Wahrnehmung (im Sinne des äußeren sinnlichen Dinges) unterschieden. Frege war wie Husserl ein Schüler Brentanos. An die Uni hat mein Professor mal erzählt, Brentano soll gesagt haben, dass Frege sein klügster und Husserl sein dümmster Schüler war. Wie dem auch sei. Es würde mich sehr interessieren von wem dieses Beispiel vom Kölner Dom herrührt, wenn nicht von Husserl. Jedenfalls ist es wahrscheinlich, dass das Beispiel des Kölner Domes schon früher als 1918 benutzt worden ist im Zusammenhang mit Auseinandersetzungen über Wahrnehmung und Vorstellung.
Die obigen Aussagen Steiners haben mich damals auch überrascht. Ich erwartete damals eine positive Bewertung Husserls, aber leider durfte es nicht so sein. Vielleicht das Steiner rigeros geurteilt hat. In seiner Philosophie der Freiheit hat er ein bestimmtes Verhältnis von Vorstellung und der wahrgenommenen äußere Welt dargestellt. Falls Hussel diesen Unterschied anders gesehen hat, kann ich mir vorstellen, dass er einfach mal schroff gesagt hat das er (Husserl) die Sachen nicht auseinander halten konnte. De Kritik ist dann weniger das Husserl sich nicht um diese Sachen bemüht hat, sondern das er sich eben nicht in der richtigen Weise (so Steiner) damit bemüht hat.
Husserl, Steiner, Frege
Kosmogonie , Freitag, 08. Juli 2016, 12:41 (vor 3089 Tagen) @ Rembert Amons
bearbeitet von Kosmogonie, Freitag, 08. Juli 2016, 12:54
Vielen Dank für deinen Hinweis auf den Aufsatz von Frege. Ich habe ihn soeben als Onlineausgabe im Internet gefunden: Gottlob Frege: Der Gedanke. Eine logische Untersuchung. Beiträge zur Philosophie des deutschen Idealismus 2 1918-1919, S. 58—77
Es gibt sogar Leute, die in Husserl einen Philosophen sehen der im Geiste Steiners gedacht hat, jedenfalls „Phänomenologisch“ gedacht hat.
Zu diesen Leuten gehöre ich. Allerdings hätte ich diese Aussage zu präzisieren. Husserl steht in der Tradition der Transzendentalphilosophie, die mit Descartes begann, oder in ihm zumindest einen Vorläufer hat. A. Diemer zitiert in einer Fußnote seines Buches "Edmund Husserl - Versuch einer systematischen Darstellung seiner Philosophie" (1965²) aus einer Nachlaßnotiz von Husserl:
Der Autor (Diemer) schreibt selbst dazu (S.310f.):
Dieses "Endchen der Welt", es erinnert es mich an den Satz in Steiners "Philosophie der Freiheit" (III. Kapitel), der lautet:
Der Autor fährt fort:
Ich habe das Wort "Fichte" im obigen Zitat hervorgehoben, weil Fichte für Husserl anscheinend eine bedeutende Rolle spielte, so wie Hartmut Traub Entsprechendes für Steiner nachgewiesen hat. Diemer vermerkt hierzu (S.312, Fußnote):
Sehr zu denken geben mir die immer neuen phänomenologischen Reduktionen zur Reinigung des transzendentalen Bewußtseins, welche damit auch immer tiefere "Ich-Schichten" freilegen. Zuletzt gelangte Husserl zu einem absoluten Ur-Ich, das selbst noch vor der Zeit ist.
Für mich liegt es nun nahe, hierbei an Steiners Schilderungen der Entwicklung des Menschen nach dem Tod zu denken. Auch dort findet eine immer weitergehende Reinigung oder Läuterung (Katharsis), und damit eine gestufte "Reduktion" auf das wahre Ich statt. Zur Mitternachtsstunde des Daseins würde dann die letztmögliche Reduktion stattgefunden haben. Handelt es sich um das Ur-Ich, das Husserl glaubte, herausgearbeitet zu haben? Steiner schrieb ja, mit der Selbstbeobachtung des Denkens (also nach einer Epoché) befinde man sich bereits in der geistigen Welt (wie nach dem Tod), ohne freilich schon geistige Wahrnehmungen zu haben.
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Falls Hussel diesen Unterschied anders gesehen hat, kann ich mir vorstellen, dass er einfach mal schroff gesagt hat das er (Husserl) die Sachen nicht auseinander halten konnte. De Kritik ist dann weniger das Husserl sich nicht um diese Sachen bemüht hat, sondern das er sich eben nicht in der richtigen Weise (so Steiner) damit bemüht hat.
Ich glaube nicht, daß Husserl von Steiner Kenntnis genommen hat. Die "Philosophie der Freiheit" ist ja als Habilitationsschrift nicht angenommen worden und ist in den Bibliotheken der philosophischen Seminare bis heute nicht verfügbar.
Als Nächstes will ich den Aufsatz von Frege lesen. Es wäre mir angenehm, wenn wir das Thema dann weiter verfolgen könnten!
Husserl, Steiner, Frege
Rembert Amons , Niederlande, Freitag, 08. Juli 2016, 15:06 (vor 3088 Tagen) @ Kosmogonie
>Es wäre mir angenehm, wenn wir das Thema dann weiter verfolgen könnten!
Gerne…
Es ist natürlich durchaus möglich, oder sogar wahrscheinlich, das Steiner Husserl nie gelesen hat. Eine Begegnung liegt auch nicht vor soviel ich weiß. Die obigen Bemerkungen Steiners sind deshalb umso merkwürdiger.
Was das "Endchen der Welt" angeht: meines Erachten handelt es sich hier um das gerade Gegenteil von Steiners Zipfel. Das „Endchen“ wird Descartes nicht los, es haftet ihm noch an und bewirkt sein Selbstmissdeutung (par. 18 Die Krisis…).
Der Zipfel dagegen muss man ergreifen, denn dort fangt (im erkennen) das Weltgeschehen an.
Ich denke Frege wird ihnen überraschen.
Freundlichem Gruß
Rembert
Richard Seebohm als Vermittler zwischen Steiner und Frege?
Kosmogonie , Freitag, 08. Juli 2016, 16:01 (vor 3088 Tagen) @ Rembert Amons
bearbeitet von Kosmogonie, Freitag, 08. Juli 2016, 17:40
Was das "Endchen der Welt" angeht: meines Erachten handelt es sich hier um das gerade Gegenteil von Steiners Zipfel. Das „Endchen“ wird Descartes nicht los, es haftet ihm noch an und bewirkt sein Selbstmissdeutung (par. 18 Die Krisis…).
Der Zipfel dagegen muss man ergreifen, denn dort fangt (im erkennen) das Weltgeschehen an.
Stimmt. Dazu muß ich nochmal nachlesen.
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Zur Frage, wie Steiner, über Husserl redend, auf den Kölner Dom gekommen ist, habe ich hier etwas gefunden: Der dritte Mann - Carnap und seine Begleiter als Hörer Freges
Das hat zwar direkt nichts mit dem genannten Aufsatz zu tun, in welchem der Kölner Dom erwähnt wird, aber es kann natürlich sein, daß Seebohm den Aufsatz gelesen hat, oder daß Frege den Kölner Dom auch in seinen Vorlesungen erwähnt hat. Vermutlich hat Seebohm, da er ja als Anthroposoph schon frühzeitig sehr aktiv war, mit Steiner über seine Bildungserlebnisse öfters gesprochen. Also z.B. über Frege, und in diesem Zusammenhang vielleicht auch über Husserl, und Steiner hat das dann nicht mehr so richtig auseinandergehalten.
Gruß
Thomas
Richard Seebohm als Vermittler zwischen Steiner und Frege?
Rembert Amons , Niederlande, Freitag, 08. Juli 2016, 20:38 (vor 3088 Tagen) @ Kosmogonie
bearbeitet von Rembert Amons, Freitag, 08. Juli 2016, 20:42
Das ist interessant. Ich kenne Seebohm nicht, aber es ist durchaus möglich das Steiner einiges erfahren hat durch Seebohm. Oder von ihm lesenswertes bekommen hat. Ich schließe ja immer noch nicht aus das Steiner Husserl doch gelesen hat, oder sogar Frege. Freges Aufsatz ist 1918-1919 herausgegeben in Beiträge zur Philosophie des Deutschen Idealismus I. Die Schlussworten nach dem Vortrag von Paula Matthes sind 1920 gemacht worden. Es ist also möglich das Steiner Frege gelesen hat und sich später irrte und Husserl statt Frege dieses Bild vom Kölner Dom zuschrieb. Er ist in dieser Hinsicht auch nicht ganz sicher:
Die Frage ist also: Hat Steiner der Illustration des Kölner Domes in Freges Text gelesen und nachher Husserl zugeschrieben? Denn es stimmt ganz genau, das Frege in diese zwei Beziehungen von der Kölner Dom redet.
Eine andere Möglichkeit ist das Seebohm einiges von Steiner mitgeteilt hat in philosophische kreisen, oder Ideen Steiners in Gesprächen selbständig vertreten hat. In Freges Text gibt es allerdings Stellen die Steiners Ideen sehr ähnlich sind.
Im Namen-Register von Steiners "Rätsel der Philosophie" bleibt auch Frege unerwähnt
Kosmogonie , Freitag, 08. Juli 2016, 21:28 (vor 3088 Tagen) @ Rembert Amons
In Freges Text gibt es allerdings Stellen die Steiners Ideen sehr ähnlich sind.
Und das könnte der Grund sein, warum das Namen-Register in Steiners "Rätsel der Philosophie", das immerhin ca. 360 Namen enthält, Frege nicht aufführt. (Husserl steht auch nicht drin.)
Steiner wollte sich profilieren durch Abgrenzung. Das ist auch nicht unüblich für jemanden, der seinen eigenen Weg sucht. Die Konsequenz ist dann aber, daß eine vielleicht fruchtbare Zusammenarbeit nicht zustandekommt. Anscheinend ist Steiner allen prominenten Philosophen, die ihm geistig nahestanden, aus dem Wege gegangen. Außer, wenn und solange er sich von ihnen Hilfe für seine erhoffte Karriere versprach. Haeckel zum Beispiel. - Max Scheler hat er aufgesucht, aber der hatte keine hohe Meinung von Steiner.
Soll man dem Steiner das zum Vorwurf machen? Auch C.G.Jung ging nicht auf Steiner zu, und Klages ging weder auf den einen noch den anderen zu. Merkwürdig insofern, als alle Drei in der Schweiz lebten (Klages ab 1915), sich also auch räumlich ziemlich nahe waren.
An irgendeiner Stelle hat Steiner sich über die Kommunikations-Schwierigkeiten des Menschen der Bewußtseinsseele geäußert und dabei auch das Verhältnis zwischen Goethe und Schiller erwähnt. Er sagte, daß es Menschen heute passieren kann, daß sie jahrelang aneinander vorbeilaufen, obwohl sie karmisch einander tief verbunden sind, oder sogar sich überhaupt nicht begegnen. Das sei zur Zeit der Verstandesseele noch anders gewesen, weil die Menschen damals noch nicht so verschlossen gewesen seien.
In Afrika, wo ich mehre Jahre gelebt habe, ist mir angenehm aufgefallen, wie leicht man dort mit Menschen, oft schon auf der Straße, ins Gespräch kommt. So war es früher wohl auch bei uns gewesen.
Gruß
Thomas
Gelesen: Frege, "Der Gedanke"
Kosmogonie , Freitag, 08. Juli 2016, 20:04 (vor 3088 Tagen) @ Kosmogonie
Als Nächstes will ich den Aufsatz von Frege lesen.
So geschehen. Die Unterscheidung der drei Reiche:
- Sinnliche Welt
- Vorstellungen
- Gedanken
leuchtet mir vollkommen ein. Jetzt frage ich mich: Ist das überhaupt eine neue Erkenntnis? Aber das ist in unserem Zusammenhang wohl weniger wichtig als die andere Frage: Wie sieht es diesbezüglich bei Steiner aus? Offen gesagt, darauf weiß ich keine sofortige Antwort. Die Begriffe werden sehr unterschiedlich gebraucht.
Was mir sehr positiv am Aufsatz von Frege aufgefallen ist: Die überaus klare, wirklich angenehme sprachliche Darstellung. Diese sprachliche Ausdrucksfähigkeit hätte ich einem Logiker, als der Frege ja gilt, nicht zugetraut. Husserl ist trockener, zugleich redundanter, und Steiner - naja, der schrieb in seiner Frühzeit stilistisch noch ziemlich normal, aber inhaltlich auch damals schon sprunghaft, "unlogisch". Im Einzelnen kann man das bei Traub nachgewiesen finden, siehe meinen Hinweis auf die Monografie von Hartmut Traub. Dieser Mangel ist es, der mich bisher davon abgehalten hat, Steiners "Hauptwerk" wirklich gründlich zu lesen. Ob es sich lohnt, ist eine weitere Frage. Was ich mir als Nächstes vorgenommen habe, ist Husserls "Krisis..." von 1936.
Gruß
Thomas
Gelesen: Frege, "Der Gedanke"
Rembert , Niederlande, Freitag, 08. Juli 2016, 21:14 (vor 3088 Tagen) @ Kosmogonie
Das haben sie schnell gemacht. Ich brauchte selbst mehrere tagen. Es ist tatsächlich einleuchtend, aber auch subtil. Vergleichen sie zum Beispiel die Passage anfangend mit: „Es ist wundersam, wie bei solchen Erwägungen die Gegensätzen ineinander umschlagen“, mit dasjenige, das Steiner schreibt in Der Philosophie der Freiheit (ab Seite 75, online pdf)
Vergleich zweier Passagen in Texten von Frege und Steiner
Kosmogonie , Freitag, 08. Juli 2016, 22:05 (vor 3088 Tagen) @ Rembert
bearbeitet von Kosmogonie, Freitag, 08. Juli 2016, 22:10
Vergleichen sie zum Beispiel die Passage anfangend mit: „Es ist wundersam, wie bei solchen Erwägungen die Gegensätzen ineinander umschlagen“, mit dasjenige, das Steiner schreibt in Der Philosophie der Freiheit (ab Seite 75, online pdf)
Frege:
Steiner:
#SE004-075
also nicht in den Körper verlegen. Ich gehe auf die Suche nach ihr. Ich suche sie im Auge: vergebens; im Nerv: vergebens; im Gehirne: ebenso vergebens; in der Seele: hier finde ich sie zwar, aber nicht mit dem Körper verbunden. Den farbigen Körper finde ich erst wieder da, wo ich ausgegangen bin. Der Kreis ist geschlossen. Ich glaube das als Erzeugnis meiner Seele zu erkennen, was der naive Mensch sich als draußen im Raume vorhanden denkt.
So lange man dabei stehen bleibt, scheint alles in schönster Ordnung. Aber die Sache muß noch einmal von vorne angefangen werden. Ich habe ja bis jetzt mit einem Dinge gewirtschaftet: mit der äußeren Wahrnehmung, von dem ich früher, als naiver Mensch, eine ganz falsche Ansicht gehabt habe. Ich war der Meinung: sie hätte so, wie ich sie wahrnehme, einen objektiven Bestand. Nun merke ich, daß sie mit meinem Vorstellen verschwindet, daß sie nur eine Modifikation meiner seelischen Zustände ist. Habe ich nun überhaupt noch ein Recht, in meinen Betrachtungen von ihr auszugehen? Kann ich von ihr sagen, daß sie auf meine Seele wirkt? Ich muß von jetzt ab den Tisch, von dem ich früher geglaubt habe, daß er auf mich wirkt und in mir eine Vorstellung von sich hervorbringt, selbst als Vorstellung behandeln. Konsequenterweise sind dann aber auch meine Sinnesorgane und die Vorgänge in ihnen bloß subjektiv. Ich habe kein Recht, von einem wirklichen Auge zu sprechen, sondern nur von meiner Vorstellung des Auges. Ebenso ist es mit der Nervenleitung und dem Gehirnprozeß und nicht weniger mit dem Vorgange in der Seele selbst, durch den aus dem Chaos der mannigfaltigen Empfindungen Dinge aufgebaut werden sollen. Durchlaufe ich unter Voraussetzung der Richtigkeit des ersten Gedankenkreisganges die
#SE004-076
Glieder meines Erkenntnisaktes nochmals, so zeigt sich der letztere als ein Gespinst von Vorstellungen, die doch als solche nicht aufeinander wirken können. Ich kann nicht sagen: meine Vorstellung des Gegenstandes wirkt auf meine Vorstellung des Auges, und aus dieser Wechselwirkung geht die Vorstellung der Farbe hervor. Aber ich habe es auch
nicht nötig. Denn sobald mir klar ist, daß mir meine Sinnesorgane und deren Tätigkeiten, mein Nerven- und Seelenprozeß auch nur durch die Wahrnehmung gegeben werden können, zeigt sich der geschilderte Gedankengang in seiner vollen Unmöglichkeit. Es ist richtig: für mich ist keine Wahrnehmung ohne das entsprechende Sinnesorgan gegeben. Aber ebensowenig ein Sinnesorgan ohne Wahrnehmung. Ich kann von meiner Wahrnehmung des Tisches auf das Auge übergehen, das ihn sieht, auf die Hautnerven, die ihn tasten; aber was in diesen vorgeht, kann ich wieder nur aus der Wahrnehmung erfahren. Und da bemerke ich denn bald, daß in dem Prozeß, der sich im Auge vollzieht, nicht eine Spur von Ähnlichkeit ist mit dem, was ich als Farbe wahrnehme. Ich kann meine Farbenwahrnehmung nicht dadurch vernichten, daß ich den Prozeß im Auge aufzeige, der sich während dieser Wahrnehmung darin abspielt. Ebensowenig finde ich in den Nerven- und Gehirnprozessen die Farbe wieder; ich verbinde nur neue Wahrnehmungen innerhalb meines Organismus mit der ersten, die der naive Mensch außerhalb seines Organismus verlegt. Ich gehe nur von einer Wahrnehmung zur andern über.
Außerdem enthält die ganze Schlußfolgerung einen Sprung. Ich bin in der Lage, die Vorgänge in meinem Organismus bis zu den Prozessen in meinem Gehirne zu verfolgen, wenn auch meine Annahmen immer hypothetischer
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werden, je mehr ich mich den zentralen Vorgängen des Gehirnes nähere. Der Weg der äußeren Beobachtung hört mit dem Vorgange in meinem Gehirne auf, und zwar mit jenem, den ich wahrnehmen würde, wenn ich mit physikalischen, chemischen usw. Hilfsmitteln und Methoden das Gehirn behandeln könnte. Der Weg der inneren Beobachtung fängt mit der Empfindung an und reicht bis zum Aufbau der Dinge aus dem Empfindungsmaterial. Beim Übergang von dem Hirnprozeß zur Empfindung ist der Beobachtungsweg unterbrochen.
Die charakterisierte Denkart, die sich im Gegensatz zum Standpunkte des naiven Bewußtseins, den sie naiven Realismus nennt, als kritischen Idealismus bezeichnet, macht den Fehler, daß sie die eine Wahrnehmung als Vorstellung charakterisiert, aber die andere gerade in dem Sinne hin- nimmt, wie es der von ihr scheinbar widerlegte naive Realismus tut. Sie will den Vorstellungscharakter der Wahrnehmungen beweisen, indem sie in naiver Weise die Wahrnehmungen am eigenen Organismus als objektiv gültige Tatsachen hinnimmt und zu alledem noch übersieht, daß sie zwei Beobachtungsgebiete durcheinander wirft, zwischen denen sie keine Vermittlung finden kann.
Der kritische Idealismus kann den naiven Realismus nur widerlegen, wenn er selbst in naiv-realistischer Weise seinen eigenen Organismus als objektiv existierend annimmt. In demselben Augenblicke, wo er sich der vollständigen Gleichartigkeit der Wahrnehmungen am eigenen Organismus mit den vom naiven Realismus als objektiv existierend angenommenen Wahrnehmungen bewußt wird, kann er sich nicht mehr auf die ersteren als auf eine sichere Grundlage stützen. Er müßte auch seine subjektive Organisation als
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bloßen Vorstellungskomplex ansehen. Damit geht aber die Möglichkeit verloren, den Inhalt der wahrgenommenen Welt durch die geistige Organisation bewirkt zu denken. Man müßte annehmen, daß die Vorstellung «Farbe» nur eine Modifikation der Vorstellung «Auge» sei. Der sogenannte kritische Idealismus kann nicht bewiesen werden, ohne eine Anleihe beim naiven Realismus zu machen. Der letztere wird nur dadurch widerlegt, daß man dessen eigene Voraussetzungen auf einem anderen Gebiete ungeprüft gelten läßt.
Soviel ist hieraus gewiß durch Untersuchungen innerhalb des Wahrnehmungsgebietes kann der kritische Idealismus nicht bewiesen, somit die Wahrnehmung ihres objektiven Charakters nicht entkleidet werden.
Das müßte ich morgen in Ruhe morgen nochmal lesen. Mit dem Text von Frege habe ich von Vornherein keine Schwierigkeiten gehabt, mit dem von Steiner habe ich sie schon. Steiner operiert überflüssigerweise mit philosophischen Positionen, die er benennt, aber eigenwillig definiert. Nachfolgend zitiert er dann noch Schopenhauer, aber in einer Weise, daß er diesen durch selektives Zitieren grob mißversteht, vgl. die entsprechende Kritik durch H.Traub.
Gruß
Thomas
Vergleich zweier Passagen in Texten von Frege und Steiner
Rembert , Niederlande, Samstag, 09. Juli 2016, 07:59 (vor 3088 Tagen) @ Kosmogonie
Ich kenne der Kritik von Traub bezüglich Steiners Schopenhauer Kritik. Zum Beispiel auf Seite 434 bis 436 ( Philosophie und Anthroposophie). Diese Kritik ist meines Erachtens aber nicht sehr stichhaltig. Den was Steiner heraushebt ist das jede Rede von Vorstellungen in dieser Beziehung irgend ein reales Ding benötigt. Dieses reales Ding kann selbst nicht wieder Vorstellung sein. Vergleiche dazu auch was sie bei Frege lesen können. Frege redet in dieser Beziehung von einem Träger. Dieses reales Ding kann nur hingestellt werden in einem unreflektiertem sinne (naiv realistisch), also nicht als ein erkanntes ding, denn sonst würde es sich in Vorstellungen auflösen müssen. Tatsächlich ist auch Schopenhauers Wille kein Erkenntnisobjekt sondern etwas unmittelbar erfahrenes. Weil der Wille im Leib wahrgenommen werde kann, ist der Leib etwas reales und nicht bloß Vorstellung. Das heißt aber das Schopenhauer bezüglich der Wille naiv realistisch verfahrt. Bedenken sie was Steiner eigentlich sagen will: Jedes unmittelbar erfahrenes ding soll vom Licht des Geistes erst sein wahre Gehalt erhalten, ohne Ausnahme (außer dem Denken selbst). Im Rahmen der Philosophie der Freiheit gilt dieses ins besondere für den Willen. Die kritische Idealisten reihen die Vorstellung am falschen Stelle ein in dem Erkenntnisprozess. Frege macht es anderes den er versteht dass das Denken nicht auf Vorstellungen beschränkt sein kann, deshalb sagt er:
Gruss
Rembert
Eine grundsätzliche Erwägung zum Verhältnis zwischen Kosmologie und Philosophie
Kosmogonie , Samstag, 09. Juli 2016, 10:40 (vor 3088 Tagen) @ Rembert
Die kritische Idealisten reihen die Vorstellung am falschen Stelle ein in dem Erkenntnisprozess.
Darüber sind wir uns einig. Wir können gerne auch weiter über philosophische Fragen diskutieren. Ich bin bereit, zur Diskussion gestellte Texte zu lesen.
Allerdings möchte ich daran erinnern - nicht speziell dich, sondern auch mich selbst -, daß dieses Forum der Netzseite Kosmogonie angeschlossen ist, das heißt, es geht mir ursprünglich um die von Steiner entworfene Kosmologie.
Zwar glaube ich nicht, daß ich diese um eigene wirkliche Erkenntnisse bereichern könnte, denn dazu fehlt mir bis jetzt und bis auf Weiteres das nötige Erkenntnisvermögen. Aber diese Kosmologie ist, so wie Steiner sie dargestellt hat (hauptsächlich, aber nicht nur, in seiner "Geheimwissenschaft"), stark aufarbeitungs-bedürftig: die Darstellung ist kaum gegliedert, die Diktion zuweilen sprunghaft; bei näherem Hinsehen - vor Allem, wenn man kosmologische Äußerungen in seinen Vorträgen hinzuzieht - zeigen sich unauflösbare Widersprüche. Darauf habe ich ja auf der Hauptseite mehrfach hingewiesen.
Doch diese Kosmologie ist in ihrer Struktur durchaus interessant, unabhängig davon, ob sie im Ganzen oder in Teilen wahr ist. Vielleicht ist sogar alles an ihr bloß erfunden. Aber selbst dann bleibt sie interessant. Daher stellt sich mir die Frage: Was kann ich tun, um Steiners kosmologische Aussagen zu überprüfen, zu klären, vielleicht sogar zu erweitern? Zu den Erkenntnismitteln hat Steiner ja Vieles gesagt und zu Papier gebracht, aber auch hierin erweist sich Steiner bei näherem Hinsehen als ziemlich unklar, ja zusammenhanglos, sogar widersprüchlich. Das habe ich zunächst unter Punkt (8.) in der Einleitung gezeigt. Sodann habe ich dem Thema eine eigene Unterseite gewidmet: Zur Evolution der Erkenntnisorgane.
In dieser Sache ist nun interessant, daß Steiner die Philosophie - genauer: sein eigenes philosophisches Werk - als hilfreich für die Erlangung höherer Erkenntnisfähigkeiten bezeichnet. Das ist für mich nun wirklich eine interessante Behauptung, denn oft habe ich mich gefragt: Lohnt sich überhaupt die Mühe, ein schwieriges philosophisches Werk durchzuarbeiten? Zuletzt bin ich gescheitert an Fichtes "Anweisung zum seligen Leben", angeblich ein populärphilosophisches Werk, aber unlesbar für jemanden, der Fichtes Hauptwerke nicht schon kennt.
Nun scheint mir - und schien mir immer schon - die Philosophie Husserls eine gewisse Verwandtschaft zum Übungsweg zu haben, den Steiner angibt. Denn die Reduktion als methodisches Prinzip, die ja nicht nur eine einmalige Reduktion ist, sondern in vielerlei Arten und Stufen beschrieben wird, ist ja eine Art Katharsis. Husserls Werk ist nicht nur ein "Wissens-Behälter", sondern eher eine Wegbeschreibung. Merkwürdig nur, daß man auf diesem Wege nicht von selbst zu höheren Erkenntnissen kommt, sonnst wäre Husserl u.A. Kosmologe geworden. Aber für die "Philosophie der Freiheit" sagt Steiner ja auch, daß man durch ihren Nachvollzug zwar schon in der geistigen Welt stehe, aber noch keine geistigen Inhalte wahrnehme.
Dazu bedarf es demnach einer Umwandlung der Wesensglieder, und dies - im Erfolgsfalle - mit einschneidenden Folgen für das seelische Leben. Und die können erschütternd und sehr unangenehm sein, wie Steiner in GA 138-4, aber auch z.B. in "Ein Weg zur Selbsterkenntnis des Menschen", Vierte Meditation, beschreibt:
Das Verhältnis dieser beiden Wege, nämlich die transzentalphilosophischen Bildung einerseits, und den direkten Erkenntnisweg anderseits, oder: die Nützlichkeit des einen für den anderen, würde ich gerne klären.
In diesem Thread geht es speziell um das Verhältnis zwischen Steiner und Husserl. Das was ich soeben thematisiert habe, kann und müßte Thema eines anderen Threads sein. Vielleicht könntest du etwas dazu sagen (und damit einen neuen Thread eröffnen)?
Gruß
Thomas
Eine grundsätzliche Erwägung zum Verhältnis zwischen Kosmologie und Philosophie
Rembert , Niederlande, Samstag, 09. Juli 2016, 12:36 (vor 3088 Tagen) @ Kosmogonie
Das Verhältnis dieser beiden Wege, nämlich die transzentalphilosophischen Bildung einerseits, und den direkten Erkenntnisweg anderseits, oder: die Nützlichkeit des einen für den anderen, würde ich gerne klären.
Nun, Ich kenne Husserls Arbeit nicht gut, nur “Der Krisis...” habe ich naher studiert. Es ist zweifellos eine entwicklungsweg da drin. Durchhaltekraft ist da drin und streben nach Wahrhaftigkeit und Genauigkeit, also Tugenden die man braucht um Selbsterkenntnis zu erreichen. Ich glaube schon das Husserl etwas erreicht hat in diesem Bereich. Er versteht es seinem Bewusstsein die Verhaftung durch die Gewöhnlichkeit zu entreißen. Vielleicht soll man auch nicht nach Husserl selbst schauen, sondern nach seinen Nachfolger. Denken sie an Heidegger der durchaus, auf seine Weise, eine gewisse Grenze überschritten hat, wenn er auch kein Kosmologen geworden ist. Husserls Abhandlungen über Descartes haben mir damals entzückt.
Die Textstelle Steiners die sie eingefugt haben (Vierte Meditation). Ist erschütternd für mich. Es hat Zeiten gegeben das ich mir aus diesem Grunde von Anthroposophie quasi abgewandt habe. Ich fühlte mich die Aufgabe nicht gewachsen en dennoch war er unausweichlich, den man kann die Arbeit an sich selbst nicht abstellen ohne schlechter zu werden.
Was der Philosophie der Freiheit angeht: ich verstehe ihm noch immer nicht ganz, das ist auch eigentlich unmöglich, ihm ganz verstehen auf gewöhnliche weise. Man kann das Mangel an Logik oder so etwas nennen, aber da wo ein Sprung im Text unseres Verständnis herausfordert, da ist seelischer kraft notwendig um mitspringen zu können. Ich fühle immer genau wenn mir das nicht gelingt. Die benötigte Kraftentfaltung ist eben Teil der Entwicklungsweg dieses Buches.
Vielleicht naiv, aber wie soll ich einen neuen Thread eröffnen?
Eine grundsätzliche Erwägung zum Verhältnis zwischen Kosmologie und Philosophie
Kosmogonie , Samstag, 09. Juli 2016, 14:07 (vor 3088 Tagen) @ Rembert
Denken sie an Heidegger der durchaus, auf seine Weise, eine gewisse Grenze überschritten hat
Das ist fraglich. Husserl, der, wie er schrieb, "Sein und Zeit" zweimal gelesen hat, war enttäuscht davon, denn Heidegger sei zur natürlichen Einstellung zurückgekehrt. Insofern könne er nichts Bedeutendes in "Sein und Zeit" finden.
Jemand sagte, man könne Husserl-Scheler-Heidegger der Reihe Denken-Fühlen-Wollen zuordnen. Das leuchtet mir ein. Husserl war kognitiv orientiert, Scheler dem Gefühl zugewandt, und Heidegger dem Praktischen (im philosophischen Sinne).
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Die Textstelle Steiners die sie eingefugt haben (Vierte Meditation). Ist erschütternd für mich. Es hat Zeiten gegeben das ich mir aus diesem Grunde von Anthroposophie quasi abgewandt habe. Ich fühlte mich die Aufgabe nicht gewachsen en dennoch war er unausweichlich, den man kann die Arbeit an sich selbst nicht abstellen ohne schlechter zu werden.
Ja, mir macht eine Stelle wie diese ebenfalls Unbehagen. Ich vermute, daß innere, schwer erträgliche Angstzustände, die ich vor Jahrzehnten gelegentlich hatte (anscheinend in der Folge von wenigen Versuchen mit bewußtseinsverändernden Drogen), mit dieser Schwelle zu tun haben könnten. Aber man muß dieser Angst begegnen lernen, wie Steiner schrieb bzw. sagte. Inzwischen habe ich damit weniger, aktuell gar keine Probleme. Es kann auch sein, daß Steiner nur zur Warnung den Extremfall beschrieben hat, um Schwärmer abzuschrecken. An anderer Stelle schreibt er nämlich, daß der Übergang bei ausreichender Vorbereitung ganz harmonisch verlaufen könne. Und davon ganz abgesehen: die ganze Menschheit geht jetzt über die Schwelle; viele Menschen gehen unbemerkt, weil in Illusionen befangen, viele leidend, vereinsamt. Mein Bemühen geht dahin, immer mehr auf Christus zu vertrauen.
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Was der Philosophie der Freiheit angeht: [...] Die benötigte Kraftentfaltung ist eben Teil der Entwicklungsweg dieses Buches.
Da gibt es ebenso schwer verständliche, aber m.E. seriösere philosophische Bücher. Es heißt, Kant muß man gelesen haben; nicht weil er unüberbietbar wäre, sondern weil er eine Grundlage bildet. Und daher wohl auch Fichte. Was Steiner demgegenüber vorzuweisen hat, ist eher sein persönlicher Befreiungsweg. Man lernt durch ihn die großen Philosophen nicht wirklich kennen, weil Steiner sie nur aus seinem ganz persönlichen Blickwinkel beleuchtet. Das kann sogar dazu führen, daß seine Vorurteile auch im Leser sich festsetzen.
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Vielleicht naiv, aber wie soll ich einen neuen Thread eröffnen?
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Du kannst dich auch registrieren, so wie Bernhard es gemacht hat. Dann mußt du nicht jedesmal deinen Namen eintragen. Und wenn ich wegen Unfug die Schreibberechtigung des Forums einschränken muß, dann können Registrierte immer noch schreiben.
Gruß
Thomas
Eine grundsätzliche Erwägung zum Verhältnis zwischen Kosmologie und Philosophie
Rembert , Niederlande, Samstag, 09. Juli 2016, 16:21 (vor 3087 Tagen) @ Kosmogonie
Der PdF ist m.E. schon ein seriöses buch. Wahrend meines Studium der Philosophie habe ich mich schon damit beschäftigt und das hat mir sehr geholfen verschieden philosophischen Positionen zu verstehen. Damals hat neben Steiner Hegel großen Eindruck auf mich gemacht und auch Merleau-Ponty schätzte ich sehr. Hegel erfordert tatsachlich gleich viel Kraft. Man versteht ihm noch nicht wenn man nur der Inhalt seiner Schriften irgendwie zusammenfassen kann.
Ich möchte nicht sagen das Steiner nur seine ganz persönlichen Blickwinkel hat. Man lernt doch die Philosophen kennen durch Steiner, aber so das man merkt: diese Charakteristik ist wie ein (steinerschen) Wiedergeburt des Philosophen, eine intellektuelle Wiederbelebung konnte man sagen. Das ist kein Zufall denke ich. Er machte das absichtlich so. Aber nicht wie Traub meint um seiner eigene Position plausibler erscheinen zu lassen. Der Grund ist eine ganz andere. Das untaugliche soll man wegwerfen und das taugliche muss in wert erhöht werden. Es ist philosophische Ökonomie. Man kann das eine Entstellung nennen, aber es ist durchaus fruchtbar und ich weiß nicht wie wir anders weiter kommen sollen.
Das ist wahr, aber das rührt nur davon her das die Leser eben nichts weiter hinzufugen, es so stehen lassen. Lesen sie und überbieten sie Die Phänomenologie des Geistes, das wäre schon etwas! Mir gelingt das nicht, obwohl ich bestimmte Stellen wohl mehr als 20 mal gelesen habe. Ich habe immer die ungeheure Nachwirkung empfunden wenn ich Hegel gelesen hatte, aber nichts damit anfangen können.
Ich werde einen neuen Thread eröffnen. Das gelingt mir erst am Montag.
gruss
Ein Schlußwort (?) zu diesem Thread
Kosmogonie , Samstag, 09. Juli 2016, 23:12 (vor 3087 Tagen) @ Rembert
bearbeitet von Kosmogonie, Samstag, 09. Juli 2016, 23:22
Man lernt doch die Philosophen kennen durch Steiner, aber so das man merkt: diese Charakteristik ist wie ein (steinerschen) Wiedergeburt des Philosophen, eine intellektuelle Wiederbelebung konnte man sagen.
Also, Husserl lernt man ganz gewiß nicht kennen durch Steiner!
Spinoza auch nicht, denn diesen zitiert Steiner dermaßen zusammenhanglos, daß er ihm das Gegenteil dessen unterlegt, was Spinoza - inbezug auf die Freiheit - wirklich dachte.
Und dann erst Kant! Stünde nicht
als einleitender Satz in der Vorrede zu "Wahrheit und Wissenschaft", so könnte man Steiner zugute halten, daß er wenigstens in seinen für die Öffentlichkeit bestimmten Werken mit diesem Philosophen höflich umgegangen sei. Aber der obige Satz verbietet uns, dem Steiner irgendwelche Rücksichtnahme zu konzedieren. Die Geistgestalt eines Menschen mit Gesundheit und Krankheit in Verbindung zu bringen, das ist schon ziemlich unverschämt und pietätlos.
Nun könnte man dem Steiner diese offenkundige Menschen-Verachtung vielleicht noch nachsehen, wenn er als gereifter Mann wenigstens sein Urteil abgemildert hätte. Aber nein, gerade gegen Ende seines Lebens setzt Steiner noch eins drauf, nämlich in seinem Vortrag vom 20. Mai 1924, gehalten vor Arbeitern.
Zitat (Hervorhebungen durch mich):
Sehen Sie, schon als Bub hörte ich in der Schule oftmals von dem Literaturgeschichtslehrer: Immanuel Kant war der Kaiser des literarischen Deutschlands! - Ich habe mich einmal versprochen und habe gesagt: König des literarischen Deutschlands. Da hat er mich gleich korrigiert und hat gesagt: Kaiser des literarischen Deutschlands!
Nun, ich habe mich gerade außerordentlich viel mit Kant beschäftigt und habe - das habe ich ja erzählt in meiner Lebensbeschreibung - eine Zeitlang einen Lehrer in der Geschichte gehabt, der eigentlich immer nur aus andern Büchern vorgelesen hat; ich habe mir gedacht: das kann ich selber lesen zu Hause, und als er einmal hinausgegangen ist, habe ich nachgeschaut, was er eigentlich vorliest. Und es war dann
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günstiger, daß ich mir das selber verschaffte. Aus «Reclams Universal-bibliothek» hatte ich mir Kants «Kritik der reinen Vernunft» besorgt; ich trennte es auseinander, und das habe ich dann hineingeheftet in mein Schulbuch, das ich während des Unterrichts vor mir liegen hatte, und las nun Kant, während vom Lehrer Geschichte gelehrt wurde. Deshalb habe ich mir auch ganz ordentlich getraut über Kant zu reden, von dem alle eigentlich immerfort so reden, daß die Leute, wenn man irgend etwas, was auf Geistiges Bezug hat, sagt, dann sagen: Ja, aber
Nun wollen wir uns einmal vor Augen stellen, wie eigentlich dieser Kant die Welt angesehen hat. Er sagte ja mit einem gewissen Recht:
Alles dasjenige, was wir sehen, was wir fühlen, kurz, was wir durch die Sinne wahrnehmen, also die ganze Natur, die außer uns ist, die ist nicht eine Wirklichkeit, sondern die ist ein Schein, eine Erscheinung. Aber wodurch entsteht sie? Ja, sie entsteht dadurch - das ist das Schwierige jetzt, da müssen Sie ganz gut aufpassen -, daß irgend etwas, was er «das Ding an sich» nannte, also etwas ganz Unbekanntes, wovon wir nichts wissen, auf uns einen Eindruck macht; und diesen Eindruck, den sehen wir eigentlich, nicht das Ding an sich.
Also sehen Sie, meine Herren, wenn ich es Ihnen aufzeichne, so ist die Sache so: Da ist der Mensch - man könnte es ebensogut mit dem Hören und Fühlen machen, wollen wir es mit dem Sehen machen -, da ist irgendwo draußen das Ding an sich. Aber von dem wissen wir nichts, das ist ganz unbekannt, von dem weiß man nichts. Aber dieses Ding an sich, das macht jetzt auf das Auge einen Eindruck. Von diesem weiß man auch noch nichts, aber auf das Auge wird ein Eindruck gemacht.
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Und da drinnen im Menschen, da entsteht jetzt eine Erscheinung, und diese Erscheinung, die plustern wir auf zu der ganzen Welt. (Auf die Zeichnung deutend): Von dem Roten wissen wir nichts, nur von dem, was wir da als Erscheinung haben; was ich also jetzt als Violett auf-zeichne, von dem wissen wir etwas. Also eigentlich ist die ganze Welt im Grunde genommen, nach Kant, vom Menschen gemacht. Sie sehen den Baum. Von dem Baum an sich wissen Sie gar nichts, der Baum macht nur einen Eindruck auf Sie, das heißt: irgend etwas Unbekanntes macht einen Eindruck auf Sie, und diesen Eindruck, den bilden Sie zum Baum, und Sie setzen in Ihren Wahrnehmungen den Baum hin. Also bedenken Sie: Hier ist ein Stuhl, ein Sessel - ein Ding an sich. Was da eigentlich ist, weiß man nicht; aber was da ist, macht auf mich einen Eindruck: ich stelle den Stuhl hin - aber auf was für ein Ding ich mich da eigentlich setze, wenn ich mich auf den Stuhl setze, das weiß man nicht. Das Ding an sich, das, worauf ich mich setze, das habe ich eigentlich hingestellt.
Sehen Sie, Kant spricht so von den Erkenntnisgrenzen, daß man niemals wissen kann, was das Ding an sich ist, weil alles eigentlich nur eine vom Menschen gemachte Welt ist. Es ist sehr schwer, die Sache ernsthaft verständlich zu machen. Und wenn man über diesen Kant gefragt wird, da ist es schon so, daß man, wenn man ihn wirklich kennzeichnet, wirklich nun charakterisiert, eigentlich ganz merkwürdige Sachen sagen muß. Denn wenn man den wahren Kant ansieht, so ist es eigentlich schwer, einem zu glauben, daß die Sache so ist. Aber es ist so, daß einfach Kant aus der Theorie heraus, aus dem Denken heraus behauptet: Von dem Ding an sich weiß niemand etwas, sondern die ganze Welt ist nur aus dem Eindruck gemacht, den wir von den Dingen empfangen.
Ich habe einmal gesagt: Wenn man also nicht weiß, was das Ding an sich ist, so kann es ja alles mögliche sein; es kann zum Beispiel aus Stecknadelköpfen bestehen! - So ist es auch bei Kant. Man kann ganz gut sagen: aus allem möglichen könnte nach ihm das Ding an sich bestehen. Nun kommt aber das Weitere: Wenn man bei dieser Theorie stehenbleibt, sind Sie alle hier, wie ich Sie hier sehe, nur meine Erscheinung; ich habe Sie alle auf die Stühle hier gesetzt, und was dahintersteckt
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hinter jedem von Ihnen als Ding an sich, das weiß ich nicht. Und wiederum, wenn ich da stehe, so wissen Sie auch nicht, was das für ein Ding an sich ist, sondern Sie sehen die Erscheinung, die Sie selber hinsetzen. Und was ich rede, das ist dasjenige, was Sie selber herhören! Also, was ich eigentlich da mache - das Ding an sich, was das eigentlich da macht, das wissen Sie alle nicht; aber dieses Ding an sich macht auf Sie einen Eindruck, und Sie werfen dann diesen Eindruck hierher; Sie hören im Grunde genommen dasjenige, was Sie selber machen!
Nun, gerade wenn man dies Beispiel nimmt, dann könnte man, wenn man im Kantschen Sinne redet, etwa das Folgende sagen: Sie sitzen da draußen und frühstücken und sagen: Ja, jetzt wollen wir einmal in den Saal hineingehen und wollen da einmal eine Stunde das und das hören. Was das für ein Ding an sich ist, was wir hören, das können wir nicht wissen; aber wir werden den Steiner da hinschauen, so daß wir - wenigstens eine Stunde lang - diese Erscheinung haben, und nachher werden wir dasjenige, was wir hören wollen, hinhören. - Das ist es eigentlich zunächst, was der Kant sagt, deswegen, weil er behauptet: Niemals weiß man etwas vom Ding an sich!
Sehen Sie, einer der Nachfolger von Kant, Schopenhauer, der hat die Sache so klar gefunden, daß er gesagt hat: Daran kann man doch gar nicht zweifeln! - Das ist ganz sicher, sagt er, daß, wenn ich Blau sehe, dann nicht da draußen etwas blau ist, sondern von mir kommt das Blaue dahin, wenn ein Ding an sich auf mich einen Eindruck macht. Wenn ich von da draußen höre, daß einer jammert und einen Schmerz hat, dann kommt der Schmerz und das Gejammer nicht von ihm, sondern von mir! Das, sagt Schopenhauer, ist eigentlich ganz klar. Und wenn der Mensch die Augen zumacht und schläft, dann ist die ganze Welt finster und stumm; dann ist gar nichts da für ihn.
Nun, Sie können nach dieser Theorie in der einfachsten Weise die Welt erschaffen und wieder wegtun. Sie schlafen ein, die Welt ist fort; und Sie wachen wiederum auf: und Sie haben die ganze Welt wiederum gemacht - wenigstens die, die Sie sehen. Außer dem ist nur das Ding an sich da, von dem Sie nichts wissen. Ja, das hat der Schopenhauer ganz klar gefunden. Aber dem Schopenhauer ist dabei doch etwas schwummelig geworden. Es war ihm nicht recht wohl bei der Behauptung. Da
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hat er gesagt: Wenigstens etwas ist draußen - Blau und Rot, und alle Kälte und Wärme ist nicht draußen; wenn ich friere, mache ich selber die Kälte -, aber was draußen ist, ist der Wille. In allem lebt Wille. Und der Wille, der ist eine ganz freie dämonische Gewalt. Aber er lebt in allen Dingen.
Also er hat schon ein bißchen etwas in «das Ding an sich» hinein-getan. Alles, was wir vorstellen, hat er auch als eine bloße Erscheinung, die wir selber machen, angesehen; aber das Ding an sich hat er wenigstens schon mit dem Willen ausgestattet. Es waren viele Leute und es sind bis heute viele Leute, die sich eigentlich gar nicht klarmachen, was die Konsequenzen der Kantschen Lehre sind. Ich habe einmal einen Menschen kennengelernt, der war nun wirklich - was man eigentlich sollte, wenn man eine Lehre hat - ganz durchdrungen von dieser Kantschen Lehre, und der hat sich gesagt: Ich habe ja alles selber gemacht:
die Berge, die Wolken, die Sterne, alles, alles, und die Menschheit habe ich selber auch gemacht, und alles, was in der Welt ist, habe ich selber gemacht. Nun gefällt es mir aber nicht, was ich gemacht habe. Ich habe alles erschaffen; es gefällt mir aber jetzt nicht. Nun will ich es wieder wegschaffen. - Und da sagte er, er habe angefangen damit, ein paar Menschen umzubringen - er war eben wahnsinnig; er hat erzählt, daß er angefangen habe, ein paar Menschen umzubringen, um dem nachzukommen, daß er sie, die er selber gemacht hat, wieder wegschaffen wollte. Ich habe ihm gesagt, er solle nur nachdenken darüber, was da für ein Unterschied ist: Er hat ein Paar Stiefel; nach der Kantschen Lehre hat er auch diese gemacht. Aber er soll nur nachdenken, was neben dem, was er nun macht als Erscheinung an den Stiefeln, noch der Schuster gemacht hat!
Ja, sehen Sie, so ist es schon: Es gibt in dem, was als das Berühmteste in der Welt oftmals auftritt, das Allerunsinnigste! Und die Leute halten mit der ungeheuersten Starrsinnigkeit an dem Allerunsinnigsten fest. Und es sind gerade kurioserweise die Aufgeklärten, die daran festhalten.
Das, was ich Ihnen da in kurzen Worten, ohnedies schon recht schwer verständlich, gesagt habe, das muß man, wenn man Kant liest, in vielen Büchern lesen; denn das hat er nun auseinandergeschält in langen, langen Theorien; und er beginnt zum Beispiel sein Buch «Kritik
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der reinen Vernunft» - so nennt er es - damit, daß er zunächst beweist:
Der Raum, der ist nicht draußen in der Welt, den mache ich selber, den spinne ich aus mir heraus. Also erstens: Der Raum ist eine Erscheinung. Zweitens: Die Zeit ist auch eine Erscheinung. Denn da wird gesagt: Es gab einmal einen Aristoteles - ja, aber den mache ich selber in die Zeit hinein, denn die ganze Zeit mache ich selber!
Nun hat er dieses große Buch, die «Kritik der reinen Vernunft» geschrieben; es macht schon einen recht netten Eindruck. Wenn nun einer kommt, so ein richtiger Philister, und bekommt ein dickes Buch in die Hand, «Kritik der reinen Vernunft»: da leckt er sich die Finger ab, denn das ist etwas furchtbar Gescheites, Kritik der reinen Vernunft; da wird man halt selber so eine Art Herrgott auf der Erde, wenn man so etwas liest! Dann aber steht nach der Einleitung: Erster Teil. Die transzendentale Ästhetik. - Ja nun, nicht wahr, da steht: Die transzendentale Ästhetik. - Wenn einer meine «Philosophie der Freiheit» aufschlägt, so steht bei dem Kapitel vielleicht nur: Der Mensch und die Welt. - Oh, der Mensch und die Welt, das ist so etwas Gewöhnliches, aber: transzendentale Ästhetik! - Wenn der Philister ein solches Buch aufschlägt, das ist etwas, was etwas ganz Gewaltiges sein muß! Was transzendentale Ästhetik ist, dabei denkt er sich gewöhnlich nichts; aber das gerade ist ihm ja recht; das ist ein Wort, bei dem er sich ein bißchen die Zunge aushebt, wenn er es spricht. - Das ist der Obertitel.
Jetzt kommt der Untertitel: Erster Abschnitt. Die transzendentale Deduktion des Raumes. - Nun kann man sich doch nichts Schöneres denken für einen Philister, als daß er solch ein Kapitel hat. Und nachher beginnt es in einer Weise, daß er eigentlich nichts davon versteht. Aber seit mehr als hundert Jahren sagt jeder Mensch:
Dann kommt der zweite Abschnitt: Die transzendentale Deduktion der Zeit. - Wenn man sich da nun durchgerungen hat durch die transzendentale Deduktion des Raumes und der Zeit, dann kommt das zweite große Hauptstück: die Transzendentale Analytik. - Und in der transzendentalen Analytik kommt hauptsächlich der Beweis, daß der Mensch eine transzendentale Apperzeption hat.
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Nun, ich bin gefragt worden, und ich muß Ihnen schon diese Dinge sagen, die Geschichte mit der transzendentalen Apperzeption. Da muß man schon viele hundert Seiten durchlesen, damit man alles in sich hineinbekommt, was dadrinnen an Gelehrsamkeit in dieser Weise verzapft wird in dem Kapitel über die transzendentale Apperzeption. Mit der transzendentalen Apperzeption ist gemeint, daß der Mensch seine Vorstellungen macht und eine Einheit in diesem Vorstellen ist. Also wenn alles nur Vorstellung ist, die ganze Welt, so muß eigentlich jetzt durch diese transzendentale Apperzeption die ganze Welt aus dem Nichts des eigenen Wesens heraus gesponnen werden. Ja, so ungefähr wird das da auch dargestellt.
Jetzt kommt man also dazu: der Kant spinnt in dem Kapitel über die transzendentale Apperzeption die ganze Welt mit allen Bäumen, Wolken, Sternen und so weiter aus sich heraus. Ja, er spinnt sie heraus -das sagt er. Aber was er in Wirklichkeit herausspinnt und womit man sich immer herumschlägt in diesem ganzen weiten Kapitel, das sind nämlich jene Vorstellungen, nur etwas ins Spätere übersetzt, die ich Ihnen letzthin auf dem Sephirothbaum aufgeschrieben habe, aber nur in der Form von a A - des bloßen Alphabets -, nicht so, daß man damit lesen kann, irgend etwas weiß! Und noch dazu: Da war es doch wenigstens etwas sehr Konkretes. Aber Kant spinnt es so heraus, daß er sagt:
Die Welt besteht also erstens aus Quantität, zweitens aus Qualität, drittens aus Relation, viertens Modalität. Nun also, jeder von diesen Begriffen hat wiederum drei Unterbegriffe; zum Beispiel die Quantität: Einheit, Vielheit, Allheit. Nun, die Qualität hat: Realität, Negation, Limitation und so weiter. Das waren zwölf Begriffe - drei mal vier ist zwölf -, und män kann die Welt aus ihnen herausspinnen. Der gute Kant hat gar nicht die Welt damit herausgesponnen, sondern er hat eigentlich nur zwölf Begriffe herausgesponnen mit der transzendentalen Apperzeption. Also er hat eigentlich nur zwölf Begriffe geschaffen, nicht die Welt.
Wenn nun irgend etwas daran wäre an der Geschichte, so würde doch etwas dabei herauskommen! Aber das bemerken die Philister gar nicht, daß nichts herauskommt, daß nur zwölf Begriffe herauskommen, sondern sie gehen jetzt mit vollem Magen und mit Kantischer Philosophie
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durch die Welt und sagen: Nichts kann man begreifen! - Nun, das kann man bei den Philistern verstehen; sie finden sich angeheimelt, wenn ihnen gesagt wird: Wenn sie nichts begreifen, so kommt das nicht von ihnen, sondern von der ganzen Welt. Wenn du glaubst, daß du nichts weißt, so hast du schon recht; aber das kommt nicht davon, weil du nichts kannst, sondern weil die ganze Welt nichts wissen kann. -Und so kommen diese zwölf Begriffe heraus. Das ist dann die transzendentale Analytik.
Jetzt kommen aber noch die ganz schweren Kapitel. Da kommt dann dasjenige Kapitel, das überschrieben ist: Von den transzendentalen Paralogismen. - So geht es ja überhaupt fort. Man bekommt in der Kantschen «Kritik der reinen Vernunft» Titel nach Titel! Da wird gesagt: Es gibt Leute, die behaupten: Der Raum ist unendlich. Aber es gibt auch Leute, die sagen: Der Raum ist begrenzt. - Das wird auch bewiesen, wie die Leute es eben beweisen. So daß Sie in der «reinenVernunft» später in den Kapiteln einander gegenübergestellt finden, auf der einen Seite wird bewiesen: Der Raum ist unendlich; auf der andern Seite wird bewiesen: Der Raum ist endlich. Dann wird wiederum bewiesen: Die Zeit ist unendlich, ist eine Ewigkeit. Dann wird bewiesen:
Die Zeit hat einen Anfang genommen und wird ein Ende finden. Und so macht das der Kant, meine Herren. Dann wird bewiesen: Der Mensch ist frei. Und wiederum auf der andern Seite: Der Mensch ist unfrei.
Was will Kant dadurch sagen, daß er für die zwei entgegengesetzten Behauptungen die Beweise gibt? Er will damit sagen: Wir können überhaupt nichts beweisen! Wir können ebensogut behaupten: Der Raum ist unendlich wie endlich; die Zeit ist ewig, die Zeit wird ein Ende finden! - Ebensogut können wir sagen: Der Mensch ist frei, oder: Er ist unfrei. - Also das läuft darauf hinaus, daß man in der modernen Zeit sagen muß: Denkt wie ihr wollt, auf die Wahrheit kommt ihr nicht, sondern für euch Menschen ist alles gleich.
Dann bekommt man noch Anweisung darüber, wie man so denken kann, in der transzendentalen Methodik gelehrt. Auf diese Weise kann man zunächst ein Buch von Kant durchnehmen. Also man kann fragen:
Warum hat er denn eigentlich das alles unternommen? Da kommt man
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dann darauf, was der Kant eigentlich gewollt hat. Sehen Sie, bis zu Kant haben zwar die Leute, die Philosophie getrieben haben, auch nicht gerade viel gewußt, aber sie haben wenigstens behauptet: Einiges kann man wissen von der Welt. - Dem stand dasjenige gegenüber - was schon aus dem Mittelalter gekommen ist, weil man, wie ich Ihnen gezeigt habe, im Mittelalter das alte Wissen verloren hat -, was man schon im Mittelalter gefaßt hat als Gedanken, daß man nur etwas wissen kann von dem, was die Sinne darstellen, und nichts wissen kann, was vom Geiste ist. Das muß man glauben. Und so entstand durch das Mittelalter und hinauf bis zu Kant die Behauptung: Man kann nichts wissen über das Geistige; vom Geistigen kann man nur etwas glauben.
Die Kirchen, die kommen natürlich mit dieser Lehre, daß man vom Geistigen nichts wissen könne, das müsse man glauben, sehr gut weg, denn dann können sie daraus diktieren, was der Mensch vom Geistigen glauben soll!
Nun gab es, wie gesagt, Philosophen, - Leibniz, Wolff und so weiter -, die bis zu Kant hin behaupteten, daß man wenigstens einiges wissen kann, durch bloße Vernunft wissen kann, was in der Welt Geistiges ist. Kant sagte nun: Das ist alles Unsinn, zu glauben, daß man irgend etwas vom Geistigen wissen kann, sondern das Geistige muß man alles bloß glauben! - Und Kant hat auch, als er die zweite Auflage seiner «Kritik der reinen Vernunft» geschrieben hat, sich verraten. In dieser zweiten Auflage steht ein kurioser Satz drinnen; da steht drinnen:
«Ich mußte das Wissen absetzen, um für den Glauben Platz zu bekommen.» Das ist das Bekenntnis eigentlich, meine Herren! Das ist dasjenige, was zum unbekannten Ding an sich geführt hat! Deshalb nannte Kant sein Buch «Kritik der reinen Vernunft»: die Vernunft selber sollte kritisiert werden, daß sie nichts wissen kann. Und in diesem Satze:
«Ich mußte das Wissen absetzen, um für den Glauben Platz zu bekommen», in diesem liegt eigentlich die Wahrheit der Kantschen Philosophie. Damit aber ist jedem Glauben Tür und Tor geöffnet. Und eigentlich könnte sich auf Kant allein die positive Religion berufen! Aber es können sich auch diejenigen Leute auf Kant berufen, die überhaupt nichts wissen wollen, die sagen: Warum wissen wir denn nichts? Weil man nichts wissen kann! - Sehen Sie, so ist eigentlich die Lehre von
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So hat Kant zunächst dieses ganze Buch geschrieben: «Kritik der reinen Vernunft.» In dieser «Kritik der reinen Vernunft» wird also bewiesen: Vom Ding an sich weiß man nichts.
Dann hat er ein zweites Buch geschrieben: «Kritik der praktischen Vernunft.» Er hat dann noch ein drittes Buch geschrieben: «Kritik der Urteilskraft», aber das ist nicht so wichtig. Also «Kritik der praktischen Vernunft» hat er als zweites Buch geschrieben. Da hat er nun seinen eigenen Glauben aufgestellt. Also er hat erstens ein Buch des Wissens geschrieben: «Kritik der reinen Vernunft»; in dem hat er bewiesen, daß man nichts wissen kann. Jetzt kann der Philister das Buch /aus der Hand legen; es ist bewiesen, daß man nichts wissen kann. Dann hat Kant geschrieben die «Kritik der praktischen Vernunft»; da baut er nun seinen Glauben auf. Wie baut er seinen Glauben auf? Da sagt er:
Wenn sich der Mensch in der Welt anschaut, so ist er ein unvollkommenes Wesen; aber so unvollkommen zu sein, das ist eigentlich nicht menschlich; also muß es irgendwo eine größere Vollkommenheit des Menschen geben. Wir wissen zwar nichts darüber; aber glauben wir daran, daß es irgendwo innerhalb der Erde eine größere Vollkommenheit des Menschen gibt, glauben wir an eine Unsterblichkeit.
Ja, sehen Sie, meine Herren, das unterscheidet sich allerdings wesentlich von den wissenschaftlichen Betrachtungen, die ich Ihnen gebe für das, was vom Menschen fortlebt, wenn er durch den Tod geht! Kant will aber gar keine solche Erkenntnis, sondern will einfach aus der Unvollkommenheit des Menschen heraus beweisen, daß der Mensch glauben soll an eine Unsterblichkeit.
Dann beweist er auf ebensolche Weise, daß man nur glauben soll,
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daß man nichts wissen könne über die Freiheit, sondern glauben soll, daß der Mensch frei ist; denn wenn er nicht frei wäre, so wäre er für seine Handlungen nicht verantwortlich. Also glaubt man, damit er verantwortlich sein kann, er sei frei.
Mich hat eigentlich oftmals diese Kantsche Lehre von der Freiheit erinnert an eine andere Lehre, die ein Professor der Jurisprudenz immer an den Anfang seiner Vorlesungen setzte. Er sagte: Meine Herren, da gibt es Menschen, die sagen: Der Mensch ist nicht frei. Aber, meine Herren, wenn der Mensch nicht frei wäre, dann wäre er nicht verantwortlich für seine Taten. Dann könnte es aber auch keine Strafen geben. Wenn es aber keine Strafen gibt, dann kann es auch keine Strafwissenschaft geben. Die Strafwissenschaft trage ich aber selber vor -, dann könnte es also auch mich nicht geben. Mich gibt es aber, also gibt es auch eine Strafwissenschaft, folglich gibt es auch eine Strafe, folglich auch eine Freiheit - also habe ich Ihnen bewiesen, daß es eine Freiheit gibt! - Ganz an diese Rede des Professors erinnert mich dasjenige, was Kant über die Freiheit sagt. Und ebenso redet Kant von Gott. Er sagt:
Wissen kann man nichts von irgendeiner göttlichen Macht an sich. Aber einen Elefanten kann ich doch nicht machen; also glaube ich, daß ihn ein anderer machen kann, der mehr kann als ich. Also glaube ich an einen Gott.
Nun hat also Kant dieses zweite Buch geschrieben, die «Kritik der praktischen Vernunft». In diesem hat er gesagt, man solle als Mensch glauben an Gott, Freiheit und Unsterblichkeit. Wissen kann man nichts darüber, aber glauben soll man es. Denken Sie nur einmal, was für ein Unmenschliches eigentlich da drinnen liegt: Erst wird bewiesen, daß das Wissen eigentlich nichts ist; zweitens, daß man an Gott, Freiheit und Unsterblichkeit glauben soll, von dem man nichts wissen kann! So ist also Kant im Grunde genommen der größte Reaktionär. Die Leute machen schöne Worte; daher haben sie ihn genannt den Alleszermalmer. Ja, das Wissen hat er alles zermalmt, aber nur so, wie wenn einer Spielzeug vernichtet. Denn die Welt ist ja trotzdem da geblieben! Und den Glauben, den hat er eigentlich in ganz beträchtlicher Weise gestützt.
Das ist dann fortgegangen das ganze 19. Jahrhundert, bis in unser Jahrhundert hineingekommen, und heute schreiben natürlich überall
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die Leute zum zweihundertsten Geburtstag Kants! Und in Wahrheit ist gerade der
Dann hat der Kant noch andere Schriften geschrieben, eine Schrift
etwa des Inhalts: Wie ist Metaphysik in aller Zukunft als Wissenschaft möglich?, worinnen er eigentlich wieder beweist, daß sie unmöglich ist und so weiter. Man muß eigentlich sagen: Die ganze Wissenschaft im 19. Jahrhundert hat eigentlich an Kant gekrankt; Kant war im Grunde genommen eine Wissenschaftskrankheit.
Nun, wenn Sie also den Kant nehmen als ein Beispiel, wie unsinnig eigentlich manchmal die geistige Entwickelung vor sich geht, dann haben Sie ihn in der richtigen Weise genommen. Aber dann werden Sie auch sich sagen: Man muß wirklich in der Erkenntnis achtgeben; denn die Welt ist furchtbar stark darauf aus, gerade in der Erkenntnis den allergrößten Unsinn zu betreiben. Und Sie können sich denken, in welch schwieriger Lage man als Vertreter der Geisteswissenschaft ist:
Man hat nicht nur die Vertreter der Religionen gegen sich, sondern man hat auch die andern Leute, die ganzen Philosophen und diejenigen, die wiederum von den Philosophen angesteckt sind, gegen sich und so weiter. Jeder Philister kommt und sagt: Ja, du behauptest über die geistige Welt dieses; Kant hat ja schon bewiesen - so sagen sie -, daß man darüber nichts wissen kann! - Das ist eigentlich die beste Pauschaleinwendung, die man machen kann. Es kann einer sagen: Ich will überhaupt nichts von dem hören, was der Steiner sagt, denn der Kant hat ja schon bewiesen, daß man von alldem nichts wissen kann.
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Sind Sie befriedigt?
Es scheint, daß alles Negative, das Steiner dem Kant zuschreibt, auf ihn selber paßt. Ich bin geneigt, rhetorisch zu fragen: Geht's noch dümmer - oder noch gemeiner? Nehmen wir diesen Satz:
So kann man natürlich auch über Anthroposophen reden, indem man den Satz leicht verändert:
Es ist schon merkwürdig, daß Steiner bis zum Schluß seine Vorurteile nicht aufgegeben und sein Ressentiment nicht abgemildert hat. Es wurde der Einwand gemacht, daß Steiner zu Arbeitern in etwas familiäreren Ton habe sprechen dürfen. Ein schlechter Einwand, denn abgesehen davon, daß es sich überwiegend nicht um Facharbeiter, sondern um unentgeltlich arbeitende Helfer gehandelt hat, also um Idealisten, so sollte man gerade den unbedarften Menschen freilassend gegenübertreten, anstatt sie mit Vorurteilen und Verurteilungen zu prägen. Solche Prägungen können lebenslang nachwirken!
Darüber möchte ich nicht die positiven Wirkungen kleinreden, die von Steiner ausgegangen sind.
Gruß
Thomas
Ein Schlußwort (?) zu diesem Thread
Bernhard, Sonntag, 10. Juli 2016, 09:59 (vor 3087 Tagen) @ Kosmogonie
Für den (Noch-)Nicht-Hellsichtigen ist ungeklärt, von welcher Warte aus Steiner die Philosophen betrachtet. Vom rein intellektuellen Standpunkt aus mag man Steiners Äußerungen als unlogisch und mithin unsinnig befinden - ganz legitim und wissenschaftlich konsequent - und ihm zurecht intellektuelle Unzulänglichkeit attestieren. Da aber - um im Bilde zu bleiben - der Fehlsichtige weder weiß, dass bzw. ob er fehlsichtig ist, noch, aus welcher Perspektive der gesund Sehende die Dinge betrachtet, kann er notwendig den faktischen Wert der Beschreibungen des letzteren nicht beurteilen.
Mithin sollte der Invalide sich hüten, um sich nicht selber des Fehlurteils und Vorverurteilens verdächtig zu machen, dem gesund Sehenden Illusion, Täuschung oder Unwahrhaftigkeit zu unterstellen - zumindest so lange, bis auch er eines gesunden Sehens fähig ist.
Schönen Gruß!
Bernhard
Ein Schlußwort (?) zu diesem Thread
Kosmogonie , Sonntag, 10. Juli 2016, 11:47 (vor 3087 Tagen) @ Bernhard
bearbeitet von Kosmogonie, Sonntag, 10. Juli 2016, 19:29
Da aber - um im Bilde zu bleiben - der Fehlsichtige weder weiß, dass bzw. ob er fehlsichtig ist, noch, aus welcher Perspektive der gesund Sehende die Dinge betrachtet, kann er notwendig den faktischen Wert der Beschreibungen des letzteren nicht beurteilen.
Mithin sollte der Invalide sich hüten, um sich nicht selber des Fehlurteils und Vorverurteilens verdächtig zu machen
Mein lieber Bernhard,
du sprichst ganz unnötigerweise in Anspielungen. Wer ist denn der Invalide oder Fehlsichtige? Den Steiner meinst du damit nicht. Dich selbst meinst du damit auch nicht, denn als Fehlsichtiger könntest du gar kein Urteil fällen. Also bleibe ich als Kandidat für den Invaliden bzw. Fehlsichtigen. Und ebenso natürlich alle anderen Menschen, die sich ihres eigenen Verstandes bedienen und mit Steiner nicht übereinstimmen. Bekanntlich lautet eine der Definitionen, für die Kant zurecht berühmt geworden ist, wie folgt:
Ähnlich hat sich auch Steiner häufig geäußert, etwa ingestalt der Nebenübung der Unbefangenheit. Steiner ist sich, trotz aller Ablehnung, mit Kant in vielen Dingen erstaunlich einig. Nur will er das nicht zugeben. Seine große Schwäche besteht darin, Anweisungen zu geben, an die er sich selbst nicht hält.
Für den (Noch-)Nicht-Hellsichtigen ist ungeklärt, von welcher Warte aus Steiner die Philosophen betrachtet.
Doch, das ist geklärt, jedenfalls in vorliegendem Falle. Wie Steiner selbst zugibt, datiert sein Kant-Erlebnis aus der Schulzeit:
Er hat also als Spätpubertierender (d.h. als ein naturgemäß Aufmüpfiger) einen schwierigen Philosophen in einem für die Lektüre ungünstigen Milieu gelesen, und aus dieser Haltung, nämlich der des Spätpubertierenden, schreibt er nicht nur als Doktorand - sein Doktorvater mußte ihn auffordern, gewisse Stellen noch einmal gründlich nachzulesen -, sondern noch als alter Mensch. Zum Unglück für die anthroposophische Bewegung hat ihn später niemand mehr aufgefordert, eines von Kants Werken nun einmal nicht nur stellenweise, sondern vollständig, und dazu mit der Positivität des gereiften Mannes zu lesen.
Ob Steiner hellsichtig war, kann keiner von uns beurteilen, aber aus meiner positiven Einstellung heraus (Nebenübung!) billige ich ihm zu, wahrscheinlich hellsichtig gewesen zu sein. Aber es ist ganz unsinnig, jemandem eine solche Fähigkeit zugute zu halten, wenn es um Dinge geht, bei denen es gar nicht auf Hellsichtigkeit ankommt, so wie im vorliegenden Falle.
Einen Philosophen wie Kant kann man nur philosophisch beurteilen. Er ist an seinen eigenen Ansprüchen zu messen, nicht an fremden. Mit Hellsicht kann man hier gar nichts ausrichten, denn um zu wissen, was Kant geschrieben hat, muß man nicht hellsichtig sein. Man kann ihn mittels Hellsichtigkeit auch nicht widerlegen. Was man hier vielmehr braucht, ist allein Logik und Intellekt, und zwar in hohem Grade.
Ich hoffe, es ist dir klar, daß Hellsichtigkeit notwendig andere Erkenntnisgegenstände hat als Philosophie und Logik. Hellsichtigkeit ist keine "bessere Logik", und sie kann auch keine Logik ersetzen. Hätte Steiner jedoch über Kants frühere Inkarnationen gesprochen (im Falle Eduard von Hartmanns hat er das tatsächlich getan), dann würde ich seine Aussagen nicht infrage stellen, schon deshalb nicht, weil mir klar ist, daß ich ihn auf diesem Gebiet nicht würde widerlegen können. (Einen Wahnsinnigen würde ich ebenfalls nicht widerlegen können, und zwar aus dem gleichen Grunde: weil ich außerhalb von dessem Wahrnehmungsfeld stehe.)
Im Übrigen, d.h., auch wenn man Kant nicht gelesen hat, sollte einem allein schon das moralische Empfinden sagen, daß Steiner sich in seiner Kant-Verurteilung grob im Ton vergriffen hat. Und das auch noch an einem sensiblen Ort, denn er sprach zu enthusiastischen, sehr aufnahme- und zustimmungswilligen Männern. Da hat man es leicht, denn man riskiert keinen Spott, aber man trägt Verantwortung. Wie steht es mit der viel beschworenen "freilassenden Einstellung"?
Ich meine, wir sollten das Thema jetzt nicht weiter behandeln, zumindest nicht an diesem Ort. Der Thread ist im Wesentlichen abgeschlossen. Wenn nötig, kann ja in einem gesonderten Thread erörtert werden, was Kant wirklich gesagt hat. Hier aber ging es um Husserl.
Gruß
Thomas
Ein Schlußwort (?) zu diesem Thread
Bernhard, Sonntag, 10. Juli 2016, 18:56 (vor 3086 Tagen) @ Kosmogonie
Wer kann letztendlich tatsächlich sicher beurteilen, inwieweit Steiners Hellsicht einen Einfluss auf dessen Haltung zu den klassischen Philosophen gehabt haben könnte!
Ohnehin beruhen die Ansichten zu Steiners Aussagen stark auf dem Sympathie-Antipathie-Gefälle, dem zu widerstehen nicht für jedermann ein Kinderspiel ist.
Ein Schlußwort (?) zu diesem Thread
Rembert , Niederlande, Sonntag, 10. Juli 2016, 21:25 (vor 3086 Tagen) @ Kosmogonie
Nun, das Zitat hat mich freude gemacht! Ich konnte noch vieles dazu sagen, aber wir sollen schluss machen nicht?
gruss
Rembert
Kölner Dom
Rembert , Niederlande, Samstag, 09. Juli 2016, 18:54 (vor 3087 Tagen) @ Kosmogonie
Bezuglich ihren Nachtrag:
Ja der Kölner Dom gibt es doch!
Logische Untersuchungen
V. Ueber intentionale Erlebnisse und ihre „Inhalte".
§ 11. Abwehrung terminologisch nahegelegter Mirsdeutungen:
a) Das „mentale" oder „immanente" Object.
(....)
....aber das hindert nicht, bis jenes den-Gott-Juppiter-Vorstellen real ist, ein so geartetes Erlebnis, eine so bestimmte Weise des Zumutheseins, Urs, wer es in sich erfährt, mit Recht sagen kann, er stelle sich jenen mythischen Götterkönig vor, von dem dies und jenes gefabelt werde. Existirt andererseits der intendirte Gegenstand, so braucht in psychischer Hinsicht nichts geändert zu. sein. Für das Bewufstsein ist das Gegebene ein wesentlich Gleiches, ob der vorgestellte Gegenstand existirt, oder ob er fingirt und vielleicht gar widersinnig ist. Juppiter stelle ich nicht anders vor als Bismarck, den Babylonischen Turm nicht anders als den Kölner Dom, ein regelmäßiges Tausendeck nicht anders als einen regelmäßigen Tausendflächner.' Sind die sogenannten immanenten Inhalte vielmehr bloss intentionale (intendirte), so sind andererseits die wahrhaft immanenten Inhalte, die zum reellen Bestande der intentionalen Erlebnisse gehörigen, nicht intentional: sie bauen den Act auf, ermöglichen als die nothwendigen Anhaltspunkte die Intention, aber sie sind nicht selbst intendirt, sie sind nicht die Gegenstände, die im Act vorgestellt sind. Ich sehe nicht Farbenempfindungen sondern gefärbte Dinge, ich höre nicht Ton- empfindungen sondern das Lied der Sängerin u. s. w.
Kölner Dom
Kosmogonie , Samstag, 09. Juli 2016, 22:02 (vor 3087 Tagen) @ Rembert
bearbeitet von Kosmogonie, Samstag, 09. Juli 2016, 22:15
Bezuglich ihren Nachtrag:
Ja der Kölner Dom gibt es doch!
Logische Untersuchungen
V. Ueber intentionale Erlebnisse und ihre „Inhalte".
§ 11. Abwehrung terminologisch nahegelegter Mißdeutungen:
a) Das „mentale" oder „immanente" Object.
Ich bringe das Zitat jetzt etwas vollständiger (Hervorhebung in Fett- und Farbdruck durch mich):
Jupiter stelle ich nicht anders vor als Bismarck,
den Babylonischen Turm nicht anders als den Kölner Dom,
ein regelmäßiges Tausendeck nicht anders als einen regelmäßigen Tausendflächner.
Quelle: Husserl Digital, Husserl, Edmund: Logische Untersuchungen : Zweiter Band, 1. Teil, Untersuchungen zur Phänomenologie und Theorie der Erkenntnis. Halle : Niemeyer, 1913. - 2., umgearb. Aufl., Seite 372ff.
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Hat Steiner sich - unbewußt - auf diese Stelle bezogen? Das bezweifle ich, denn sein Vorwurf lautete ja so:
In diesem Text geht es aber gar nicht um den Unterschied oder Nicht-Unterschied zwischen dem vorgestellten (oder erinnerten) und dem in leibhaftiger Wahrnehmung erlebten Kölner Dom. Vielmehr vergleicht Husserl den (vorgestellten) Kölner Dom mit dem (ebenfalls vorgestellten) Babylonischen Turm. Beide Bauwerke unterscheiden sich nur darin, daß es das eine nicht (mehr) gibt, das andere aber aber (noch) existiert; von einem Davor-stehen ist aber keine Rede. Sie dienen übrigens auch nur als Beispiele, um zu zeigen, daß ein von Brentano behaupteter "immanenter Gegenstand" in keinem Falle zusätzlich zum intentionalen Gegenstand angenommen werden darf.
Sollte Steiner sich aber doch auf diese Stelle bezogen haben, so würde das nur zeigen, daß er oberflächlich gelesen und, kraft seines Vorurteils, etwas in den Text hineingelegt hat, was nicht drinsteht. Wundern würde mich das nicht, denn das tut er bei anderen Autoren ja auch.
Gruß
Thomas
Kölner Dom
Rembert , Niederlande, Sonntag, 10. Juli 2016, 21:00 (vor 3086 Tagen) @ Kosmogonie
Sie haben recht, die Sache ist mit diesem Fund alles andere als erledigt. Mir ist auch sofort aufgefallen das die Textstelle nicht mit Steiners Behauptungen übereinstimmt.